01.06.2012
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Während die weltweite Wasserknappheit sich verschärft, werden öffentliche Wasserbetriebe weiter privatisiert. Doch der Widerstand dagegen wächst. In Italien konnte die Privatisierung durch einen Volksentscheid zunächst aufgehalten werden - bis die Europäische Zentralbank das Votum praktisch außer Kraft setzte. Wasser sei ein öffentliches Gut, so Barlow, und dürften nicht den Profitinteressen der Industrie unterworfen werden. So werde der globale Wasserhaushalt vor allem durch Mega-Staudämme, die Flaschenwasserindustrie und nicht zuletzt durch die industrielle Landwirtschaft, die weltweit 90 Prozent des Süßwassers verbraucht, aus dem Gleichgewicht gebracht.

Gäste: 

Maude Barlow, Council of Canadians/Blue Planet Project, Trägerin des "Alternativen Nobelpreises"

Transkript: 

David Goeßmann: Während die weltweite Wasserknappheit sich verschärft, werden öffentliche Wasserbetriebe vermehrt privatisiert. Die beiden größten Akteure im Wassergeschäft sind die internationalen Konzerne Voila und Suez, die ihren Sitz in Frankreich haben. Sie versorgen mehr als 100 Millionen Menschen in 130 Ländern mit Wasser. In Deutschland versuchen Stromversorger wie RWE in den Markt einzusteigen. Wie sehen Sie das globale Wassergeschäft und den Privatisierungsprozess? Und welche Rolle spielt hierbei das kommerzielle Weltwasserform - nicht zu verwechseln mit dem Alternativen Wasserforum?

Maude Barlow: Die Weltbank, viele Regierungen und natürlich die Wirtschaft legen sich mächtig ins Zeug, um die Wasserversorgung zu privatisieren. Wir leisten mit allen Mitteln Widerstand und haben die Privatisierungsspirale ein Stück weit aufhalten können. Aber sie versuchen es immer wieder mit neuen Taktiken. Ein Beispiel aus meinem Land: Die Regierung gibt den Kommunen nur unter der Bedingung Geld für Infrastruktur, dass sie Öffentlich-Private Partnerschaften einführen. Andere Regierungen versuchen eine Zwangsprivatisierung durchzusetzen. Italien wollte das, aber die Bürger haben in einer Volksabstimmung dagegen gestimmt. Leider kam dann die Europäische Zentralbank und hat gesagt, "egal wofür ihr gestimmt habt, ihr müsst euer Wasser privatisieren." Diese Kräfte haben wir gegen uns. Aber in einer ganzen Reihe von Städten konnten wir die Privatisierung aufhalten oder sogar rückgängig machen, wie in Paris. Denn sobald die Bürger Erfahrungen mit privater Wasserversorgung machen sind sie dagegen. Schließlich müssen die Firmen für das gleiche Geld so viel Wasser bereitstellen wie vorher der Staat und damit gleichzeitig einen Gewinn für die Aktionäre produzieren. Dazu müssen sie entweder Leute entlassen, den Wasserpreis deutlich erhöhen, die Sauberkeits- oder Sicherheitskontrollen reduzieren oder alles zusammen. Wir stellen fest, dass Kommunen, die Erfahrungen mit Privatisierungen haben, die Firmen loswerden wollen. Und wir sind froh, dass viele Kommunen und Stadtverwaltungen das Steuer herumgerissen und die Wasserbetriebe wieder verstaatlicht haben. 

Fabian Scheidler: Staudämme gelten als saubere und erneuerbare Energiequelle und Firmen dürfen damit sogar ihre CO2-Emissionen kompensieren. Aber welche Auswirkungen haben insbesondere Riesenstaudämme auf Flüsse und damit auf den globalen Wasserhaushalt?

Maude Barlow: Große Staudämme sind eines der Probleme der erneuerbaren Energien und der Green Economy. Wir nähern uns dem UN-Erdgipfel Rio +20 und mittlerweile spricht man dort sogar schon von der Blue Economy, was sich auf Wasser bezieht. Davon bekomme ich eine Gänsehaut. Aber zu Ihrer Frage: Die großen Dämme sind ein Teil des Problems. Wenn man in den Lauf eines Flusses eingreift, wird dadurch dessen ganzes Ökosystem gestört. In den Staubecken wird Methan freigesetzt, das als Treibhausgas zur Erderwärmung beiträgt. Ich finde es unfassbar, dass die Weltbank und viele Regierungen trotz der Umsiedlungen, den Gefahren für die Artenvielfalt und vor allem der offenkundigen Schäden für den Wasserhaushalt immer noch an diesen Dämmen festhalten. Außerdem erreichen viele Flüsse die Ozeane gar nicht mehr, weil sie aufgestaut werden. Dabei sind die Flussmündungen, wo Süßwasser in Salzwasser übergeht, ein wichtiger Laichplatz für Wassertiere, der hierdurch zerstört wird. Damit greifen wir in den Plan der Natur ein, oder - wenn man daran glaubt - in Gottes Plan. Mit welchem Recht? Mir ist es unbegreiflich, dass man zu solchen Methoden greift, obwohl es so viele umweltfreundlichere Lösungen gibt, die technisch weniger aufwändig und viel kostengünstiger sind. Warum interessiert sich die Weltbank nicht für die billigere Variante? Das will mir nicht in den Kopf.

David Goeßmann: In Europa und Nordamerika gehört der Konsum von Flaschenwasser zum Alltag. Marktstudien zufolge wird der Absatz von abgefülltem Wasser in Asien und Lateinamerika am schnellsten steigen, da in vielen Ländern "die Trinkwasserqualität schlecht sei". Woher kommt dieses Wasser und wie verdienen Firmen wie Coca-Cola oder Pepsi damit Geld? Und wer sind die Verlierer?

Maude Barlow: Die Mineralwasserindustrie behauptet, ihr absoluter Anteil am entnommenen Wasser sei gering, etwa im Vergleich zur Landwirtschaft, und das stimmt. Aber neben dem Müll, den Sie erzeugt, und der Energie, die sie verbraucht, ist diese Industrie auch aus der Sicht des Wasserhaushalts problematisch, weil dabei immer Wasser aus einer einzigen Quelle abgefüllt wird. Man kann nicht hier und da jeweils ein bisschen Wasser abgreifen, sondern man muss an einer Quelle, einem Reservoir, einem Aquifer oder einem Fluss eine Fabrik bauen. Und diese lokale Quelle wird erbarmungslos ausgesaugt. Ich spreche von Wasserminen so wie es auch Goldminen gibt. Eine Firma kommt daher und pumpt Wasser ab, bis nichts mehr kommt. Das schadet dem lokalen Wasserhaushalt und vernichtet Wasserquellen. In den Great Lakes in Nordamerika haben die Wasserfabriken durch ihr massives Abpumpen sogar die Strömung des Lake Michigan teilweise verändert. Sie entnehmen zwar weniger als andere Sektoren, tun das aber konzentriert in einem Gebiet. Und dann kommen die Lastwagen und karren das Wasser durch die Landschaft und zerstören dabei Feuchtgebiete und so weiter. Ganz zu schweigen von den Flaschen: Etwa 250 Milliarden Flaschen pro Jahr. Was passiert damit? Die meisten werden nicht recycelt, sondern landen auf Mülldeponien. Am schlimmsten finde ich, dass die Hersteller von Flaschenwasser bewusst Asien und Südamerika ins Visier nehmen. Ich habe gehört, wie ein Manager einer Getränkefirma gesagt hat: Wir werden es mit dem Flaschenwasser machen wie mit den Handys. In einigen Ländern hat man nämlich das Festnetz einfach übersprungen und denen, die es sich leisten konnten, gleich Mobiltelefone verkauft. Beim Wasser ist das Prinzip dasselbe. Man will keine Leitungen verlegen und Wasserwerke bauen. Das würde ja Geld kosten. Stattdessen sollen alle Wasser in Flaschen kaufen. Das ist einfach nur niederträchtig. Entschuldigung, aber das ist schlichtweg böse. Anstatt die Menschen, vor allem die armen, mit sauberem und gesundem Trinkwasser zu versorgen, will man sie vom Flaschenwasser abhängig machen. Das ist Ausbeutung und ich finde das widerwärtig.

Fabian Scheidler: Sie haben bereits die Rolle der Landwirtschaft erwähnt. Welche Auswirkungen hat die industrielle Landwirtschaft auf die Wasserversorgung weltweit?

Maude Barlow: Wie gesagt wurde erst vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass der Wasserverbrauch pro Kopf 4000 Liter beträgt und nicht 400. Diese verblüffende Statistik hätte eigentlich in allen Zeitungen der Welt stehen müssen. Bisher nahm man an, die Landwirtschaft verbrauche 70% des gesamten Wassers, laut dieser Studie sind es 92%. Das heißt, das virtuelle Wasser, das im Welthandel steckt, macht 92% aus. Dafür geht also ein Großteil der weltweiten Wasserressourcen drauf und das ist ein Riesenproblem. Und deshalb ziehe ich auch die Verbindung zum Welthandelssystem. Denn dieses Wasser sollte in dem jeweiligen Einzugsgebiet bleiben, anstatt es um die halbe Welt zu transportieren. Die industrielle Lebensmittelherstellung benötigt immense Mengen Wasser. In Indien ist die grüne Revolution gescheitert. Am Anfang sah es zwar wie ein Erfolg aus, da die Erträge viel höher waren, aber dadurch wurden die Artenvielfalt und der Wasserhaushalt zerstört. Jetzt will Bill Gates dasselbe Modell auf Afrika übertragen. Aber: A) Es verbraucht viel Wasser, B) Es verursacht eine enorme Wasserverschmutzung aufgrund der ganzen Chemikalien, der Nitrate, der Herbizide und der Pestizide. Die Massentierhaltung verschlingt ebenfalls gigantische Wassermassen. Heute stellen wir auch Biokraftstoffe her - anstatt das Land zu benutzen, um Nahrungsmittel für Menschen zu produzieren, füttern wir damit unsere Autos. Um einen Liter Bioethanol aus Mais zu erzeugen sind dazu 1700 Liter Wasser nötig. Das gleiche gilt für Ethanol aus brasilianischem Zuckerrohr. Man will den Verbrauch an fossilen Brennstoffen reduzieren, verschwendet dabei aber Unmengen von Wasser - und das alles, weil wir so abhängig von unseren Autos sind. Auch hier findet sich wieder der Irrglaube, dass ja ohnehin genug Wasser vorhanden sei und man es daher benutzen könne, um andere Probleme zu lösen.