01.06.2012
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Gäste: 

Maude Barlow, Council of Canadians/Blue Planet Project, Trägerin des "Alternativen Nobelpreises"
Wenonah Hauter, Vorsitzende von Food and Water Watch, Washington DC
Oscar Olivera, Wasseraktivist aus Cochabamba, Bolvien
Mary Ann Manahan, Focus on the Global South, Manila
Olcay Ünver, Leiter des Water Assessment Program der UNESCO
Gerlinde Schermer, Berliner Wassertisch

Transkript: 

Gefördert von der Stiftung Nord-Süd-Brücken aus Mitteln des BMZ

Noch immer haben fast 900 Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Wasser. Gegen die Aneignung und Zerstörung von Wasserreserven hat sich in den vergangenen Jahren international Widerstand gebildet. Auf dem Alternativen Weltwasserforum (FAME), das vom 14. bis 17. März 2012 in Marseille stattfand, kamen AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt zusammen, um Perspektiven für Wassergerechtigkeit zu entwickeln. Das Forum fand parallel zum 6. Weltwasserforum statt, das auf Initiative von großen Wasserunternehmen gegründet worden war und seither in der Kritik steht, einseitig privaten Profitinteressen zu dienen. Kontext TV sprach mit Teilnehmenden beider Foren aus Bangladesh, Palästina, Brasilien, der Türkei und aus Berlin.

Die aktuelle Wasserkrise geht auf jahrzehntelangen Raubbau zurück. Die weltweite Übernutzung des Grundwassers hat sich zwischen 1960 und 2000 mehr als verdoppelt. Eine aktuelle Studie von Wasserunternehmen und der Weltbank stellt fest, dass im Jahr 2030 die globale Wassernachfrage das Angebot um 40 Prozent überschreiten wird. Die renommierte kanadische Wasseraktivistin Maude Barlow warnt, dass der Erde das saubere Wasser ausgehe. Die unterirdischen Grundwasserspeicher, die Aquifere, würden gnadenlos leergepumpt. Große Seen wie der Aralsee oder Tschadsee seien bereits großenteils verschwunden. Der exzessive Wasserkonsum insbesondere in den reichen Industrieländern zerstöre auch durch den Import von wasserintensiven Gütern wie Fleisch und Elektronik - das sogenannte "vituelle Wasser" - die Lebensgrundlage in vielen Teilen der Erde.

Während die weltweite Wasserknappheit sich verschärft, werden öffentliche Wasserbetriebe weiter privatisiert. Doch der Widerstand dagegen wächst. In Italien konnte die Privatisierung durch einen Volksentscheid zunächst aufgehalten werden - bis die Europäische Zentralbank das Votum praktisch außer Kraft setzte. Wasser sei ein öffentliches Gut, so Barlow, und dürften nicht den Profitinteressen der Industrie unterworfen werden. So werde der globale Wasserhaushalt vor allem durch Mega-Staudämme, die Flaschenwasserindustrie und nicht zuletzt durch die industrielle Landwirtschaft, die weltweit 90 Prozent des Süßwassers verbraucht, aus dem Gleichgewicht gebracht.

Vor einem Jahr verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, in der das Menschenrecht auf gesundes, sauberes Wasser und Sanitärversorung als "unverzichtbar für den vollen Genuss des Rechts auf Leben" anerkannt wird. "Das war wirklich ein wichtiger Tag in meinem Leben", sagt Maude Barlow, die lange für ein Menschenrecht auf sauberes Wasser gekämpft hat. Die Verantwortung für die Wasserversorgung liege nun eindeutig bei den Regierungen und nicht bei Unternehmen. Währenddessen spitze sich die Wasserkrise insbesondere in Ländern des globalen Südens weiter zu. Das UN-Millennium-Entwicklungsziel im Bereich Wasserversorgung werde, anders als von der UN dargestellt, de facto verfehlt. Die Bewegungen, die sich auf dem Alternativen Weltwasserforum versammeln, müssten weiter Druck auf die UN und die nationalen Regierungen ausüben, um Wasser als öffentliches Gut zu schützen.

Mit einer Technologie namens "Hydraulic Fracturing", kurz Fracking, pressen Energiekonzerne Erdgas aus dem Untergrund. Dabei wird das Grundwasser mit einem Cocktail von Chemikalien verschmutzt, deren Zusammensetzung die Unternehmen nicht offen legen. Fracking steht auch im Verdacht, Erdbeben auslösen zu können. In Deutschland setzt der Ölkonzern Exxon Mobil in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen die höchst umstrittene Technologie bereits ein. Die Nichtregierungsorganisation Food and Water Watch hat jüngst eine umfassende Studie veröffentlicht mit dem Titel: "Fracking. The New Global Water Crisis". In Marseille hat Kontext TV die Vorsitzende von Food and Water Watch, Wenonah Hauter, gefragt, welche Auswirkungen Fracking auf die Wasserversorgung hat.

Viele asiatische Länder waren "Versuchskaninchen" der Wasserprivatisierung, sagt Mary Ann Manahan von der Organisation Focus on the Global South aus den Philippinen. Mit verheerenden Folgen: In Manila seien die Wasserpreise seit 1997 um bis zu 1.000 Prozent gestiegen. Das Konzept einer "green economy", das im Zentrum des Umweltgipfels Rio+20 stehen wird, könnte die Kommerzialisierung der Wassernutzung sogar noch weiter vorantreiben. In Indien und China würden zudem große Staudammbauten, die Wasser zu Metropolen wie Shanghai kanalisieren, Konflikte um den Zugang zu Süßwasser anheizen - bis hin zu Kriegen. Ein Beispiel sei die Stauung des Mekong in Tibet und der chinesischen Provinz Yunnan, die den Anrainerstaaten stromabwärts das Wasser abgrabe.
 

Im Jahr 2000 zwangen massive Proteste in Cochabamba die bolivianische Regierung, den Vertrag mit dem US-Konzern Bechtel zur Priviatisierung der Wasserversorgung aufzukündigen. Einer der Organisatoren dieser als "Wasserkrieg" bekannt gewordenen Proteste war der Gewerkschaftsführer Oscar Olivera. An seiner Seite kämpfte damals auch der spätere Präsident Evo Morales. Von Morales angebotene Regierungsämter schlug Olivera jedoch später aus. Olivera ist auch Vorbild für die Hauptfigur in dem kürzlich erschienenen Film "Und dann der Regen". Kontext TV sprach mit Olivera über die Situation in Bolivien heute, das Menschenrecht auf Wasser und die Rechte der Natur sowie über alternative Lebens- und Politikräume jenseits von Staats- und Parteistrukturen.