11.07.2011
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Einleitung: 

Eine Folge des weltweiten Ressourcenhungers ist der Zugriff transnationaler Unternehmen auf die Eisenerz-, Aluminium- und Uranvorkommen in den indischen Bundesstaaten Chattisgarh und Orissa. Dort leben noch zahlreiche Stämme der indischen Ureinwohner (Adivasi), die Widerstand gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes leisten und nun in einen Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen, die den Zugriff auf die Ressourcen sichern sollen, und Maoisten hineingezogen werden.

Gäste: 

Vandana Shiva, Bürgerrechtlerin und Ökologin, Indien, Trägerin des Alternativen Nobelpreises

Transkript: 

Fabian Scheidler: Indien hat in den letzten Monaten große Korruptionsaffären erlebt. Einige Minister mußten gehen. Die Menschen protestieren überall im Land. Was sind die tieferen Ursachen für die indische Korruption?

Vandana Shiva: Es gibt tatsächlich zwei Gründe. Einer ist historisch. Als die Briten ihre Regierungsstruktur hier installierten, um Indien zu kontrollieren, da bauten sie eine Bürokratie auf, die für die Menschen nicht zugänglich war. Sie wollten ihr Reich undemokratisch führen. Also schafften sie ein System, in dem man nur Zugang zu dem Bezirksbeauftragten oder einem Beamten bekommt, um Landfragen zu klären oder Probleme des alltäglichen Lebens zu besprechen, wenn man Bestechungsgelder bezahlt. Man muss zahlen, um allein schon das Büro zu betreten. Die koloniale Bürokratie ist ein Rezept für Korruption, weil der Zugang beschränkt wird. In einer Demokratie sollte die Regierung für die Bürger zugänglich sein. Wenn das nicht der Fall ist und alte Strukturen überleben, wie im Beispiel des kolonialen Gesetzes zur Landaneignung von 1894, das in Jaitapur außerhalb von Delhi angewendet wird, dann ist das ein Rezept für diejenigen, die Macht haben. Sie bestechen die Beamten und sagen: "Gib uns das Stück Land. Es ist nahe Delhi und ich kann Billionen Rupien damit verdienen." Der zweite Grund ist verbunden mit dem Phänomen der Globalisierung, die eigentlich eine Deregulierung ist. Man sagte uns: "Das ist das Ende der Korruption." Es werde nun keinen Papierkrieg mehr geben. Aber in Wirklichkeit verstärkte das die Korruption. Einer der größten Skandale in der letzten Zeit war der Telekom-Betrug. Ein Minister sitzt jetzt im Gefängnis. Die Commonwealth Spiele sind ein weiteres Beispiel für globalisierte Ökonomie. Bei den Spielen geht es nicht mehr um Sport. Es geht ums Geldmachen. Einer der Organisatoren der Spiele sitzt im Gefängnis. Und es gibt so viele andere Betrügereien, die noch nicht als solche anerkannt sind. Zum Beispiel das sogenannte Landgrabbing. Das ist ein riesiger Betrug. Auch das Aneignen von Land durch Bergbau ist ein Betrug. Aufgrund des Bergbaus haben wir in Indien eine derartige politische Instabilität, einschließlich des Anwachsens der Maoistenbewegung.

David Goeßmann: In den östlichen Bundesstaaten Chattisgarh and Orissa findet ein Bürgerkrieg zwischen Regierung und Maoisten statt. Was sind die Hintergründe? Wer kämpft gegen wen und um was?

Vandana Shiva: Wenn man auf eine Karte Indiens schaut, dann erkennt man, das der zentrale Teil Indiens, der Waldgürtel, eine von Stämmen bewohnte Fläche ist. Und durch die globalisierte Ökonomie wurden Bauxit-, Eisenerz- und Kohle-Bergbau, also die ganze Reihe verschmutzender Industrien, in diese Regionen gebracht, in Bundesländer wie Chhattisgarh oder Orissa. 1996 wurde ein sehr sehr wichtiges Gesetz in Indien in Kraft gesetzt. Es beinhaltet kurz gefasst die Selbstverwaltung der Stammesgemeinschaften. Im Kern sagt das Gesetz, dass, wenn Stammesgemeinschaften eine Entscheidungen treffen müssen zum Beispiel über den Bau von Bergwerken oder Fabriken in ihrer Gegend, die höchste Autorität dann die Gemeinschaft selbst ist. In der Gegend von Chhattisgarh luden die Stämme Leute wie mich ein, die sich für die Erde und ihre Rechte einsetzen, um die Enscheidungsprozesse zu beobachten. Ich erinnere mich an Dörfer, in denen getanzt und gesungen wurde. Man saß zusammen und diskutierte im Konsens: "Wollen wir dieses deutsche Stahlwerk?" Ein deutsches Stahlwerk sollte gebaut werden. Die Dorfbewohner dachten drei Tage darüber nach und sagten: "Also, die kommen hier her, geben uns Geld. Wir werden mittellos sein. Wir werden unsere Kultur und unseren Wald verlieren. Nein, wir leben lieber weiter in unseren Wäldern und bei uns zu Hause. Wir werden unser Land nicht für das Stahlwerk geben." Dann sollte ein zweites, ein drittes Stahlwerk gebaut werden. Dann organisierte sich die Industrie und brachte die Regierung dazu, die Stammesangehörigen zu verhaften, die ihre verfassungsmäßigen demokratischen Rechte ausübten, nämlich über das Schicksal ihres Lands zu bestimmen. Dann begannen die Schießereien und Tötungen. Das ermöglichte den Maoisten in den Konflikt einzutreten. Es gibt Maoisten in vielen Ländern. Es gibt die extreme Linke überall. Es gibt viele die glauben, dass Gewalt der effektivste Weg ist, um Gerechtigkeit in einem ungerechten System zu erlangen. Als also die Schießereien begannen, wuchs gleichzeitig die Unterstützung für die Maoisten. Denn die Maoisten sagten: "Euere friedlichen Proteste werden ignoriert. Auf Euch wurde geschossen. Ihr bewaffnet Euch besser." So gelangte ein Drittel Indiens unter Maoisten-Kontrolle. Nun haben die Maoisten und die Stämme eine enge Verbindung, weil der Staat sich mit dem globalen Kapital zusammen getan hat, um die Stämme zu enteignen, ihnen ihre Resourcen, ihr Land und ihre Rechte zu nehmen. Das ist der Grund, warum es in Chhattisgarh einen Bürgerkrieg gibt. Es gibt einen Bürgerkrieg in großen Teilen Orissas. Und das ist auch der Grund, warum Kollegen von mir wie Dr. Binayak Sen ins Gefängnis geworfen wurden, als ob sie Teil der Maoistenbewegung seien. Ich habe mit Binayak Sen zusammen in Chhattisgarh Reis-Saatgut bewahrt, Chhattisgarh ist die Heimstätte von Reis. Wir hatten einmal 200.000 Reissorten. Das oberste Gericht verhängte Binayak Sen vor kurzem mit einer Geldstrafe. Man sagte, dass wenn man linke Literatur bei sich hat, man nicht automatisch ein Maoist sei, sowenig man ein Anhänger Ghandis ist, wenn man eine Ghandi Biografie bei sich trägt. Binayak Sen ist jetzt auf Kaution frei, aber es laufen weiter Anklagen gegen ihn. Hunderttausend Menschen sind im Moment im Gefängnis. Die Regierung hat private Milizen gegründent. Man nennt sie "Salva Judum". Sie töten Brüder und Schwestern, um den Weg für Investoren frei zu machen, den Bergbauindustrien, den Industriellen. Es ist ein Krieg. Der Krieg verläuft zwischen den lokalen Menschen, ihren Rechten und der Verfassung Indiens und dem Unternehmer-Staat, den Konzernen, die im Sinne des Wachstumsmodells den letzten Rest von Mineralien in einem 20 bis 30-jährigen Zerstörungsexperiment aus der Erde holen wollen.

Fabian Scheidler: Indien wird oft die größte Demokratie der Welt genannt. Doch was ist mit der Verurteilung des Menschenrechtsaktivisten Binayak Sen zu lebenslanger Haftsstrafe? Das Urteil im Dezember hat weltweit für Empörung gesorgt. Wie stabil ist Indiens Demokratie?

Vandana Shiva: Es gibt eine Demokratie der Menschen, die für ihre Rechte kämpfen. In jedem Dorf, in dem Land angeeignet wird, leisten sie Widerstand. Sie wehren sich friedlich. Dann ist da die Demokratie, die die Antikorruptionsbewegung ins Leben rief. Sie brachte die Regierung dazu, sich Forderungen der  Bewegung zu beugen. Sie sagten: "Okay, wir verfassen ein Gesetzt. 5 Vertreter der Zivilgesellschaft und 5 Regierungsminister werden daran teilnehmen". Das hatte es noch nicht gegeben, dass Minister Aktivisten gegenüber saßen und ein Antikorruptionsgesetz verfassten. Aber es gibt auch die Zerstörung der Demokratie durch die Hüter der Demokratie, die Regierung selbst. Ich glaube wir haben einen Punkt erreicht in der die globalen Ökonomie, in der Globalisierung, Wirtschaftswachstum, weitere Ausbeutung der Erdresourcen, weitere Aneignung von menschlichen Ressourcen nur noch durch die Zerstörung der Demokratie stattfinden kann. Wir können daher entweder Wachstum und hohe Konsumpegel für eine kurze Zeitdauer haben durch die Zerstörung der Demokratie, oder wir haben Demokratie, das Wohl aller, der vernünftige und nachhaltige Gebrauch von Resourcen und der Respekt für die Rechte von Menschen und den Rechten der Erde. Es gibt einen riesigen Wettkampf, einen Wettkampf um Demokratie. Und ich glaube in Indien wird das Problem der Demokartie schließlich gelöst. Ich persönlich bin ein Optimist. Ich glaube dass trotz aller Gewalt und dem Einsatz von Polizei, den wir in immer neuen Dörfern sehen, die Tradition von gandhi, die Tradition von Buddha und der alten indischen Tradition, die Buddha und Gandhi inspirierte, Indien und der Welt die Zukunft weisen wird.

David Goeßmann: Gibt es eine Lösung für die globalen Krisen wie den Klimawandel, die ökologische Zerstörung und Armut im Rahmen des Kapitalismus? 

Vandana Shiva: Wörter wie Kapitalismus sind so bedeutungslos geworden. Es gibt einfach zu viele Arten. Es gibt den Kapitalismus der kleinen Geschäfte, die einen unabhängige Laden führen. Dann ist da der Kapitalismus von Monsanto, die gerne alles Saatgut mit Hilfe von Patenten kontrollieren wollen. Egal wieviele Bauern sterben. Sie wollen nicht nur Indien, sondern auch Afrika mit ihrer grünen Revolution kontrollieren. Diese Art Konzern-Monopol stolziert als Kapitalismus, redet über Wettbewerb, während man den Wettbewerb zerstört. Aber ich glaube dass es eine Lösung gibt. Es gibt eine Alternative. Ich habe diese Alternative Erddemokratie genannt. Für mich bedeutet Erddemokratie, dass wir Menschen uns wieder der Erde einpassen. Dass wir uns wieder als Teil der Erde verstehen. Dass wir die Grenzen der Erde wieder anerkennen. Und dass wir dabei nicht ärmer werden, sondern tatsächlich besser dran sind. In der Landwirtschaft zeigen das die Zahlen. Mein Buch "Soil not oil" fußt auf der Beobachtung, dass 40 Prozent der Klimaschäden, der Treibhausgasemissionen durch das industrialisierte und globalisierte System der Landwirtschaft produziert wird. Das tötet unsere Artenvielfalt. 8500 Pflanzen waren einmal Bestandteil unserer menschlichen Ernährung. 8 Nahrungsmittel werden als Waren auf globaler Ebene gehandelt. Alles ist Soja, Soja, Soja. Die Biodiversität verarmt. Bauern werden getötet, eine Viertel Millionen Selbstmorde von Bauern in Indien, die menschliche Gesunddheit wird zerstört. Schauen Sie sich die steigenden Zahlen zur Fettleibigkeit, zu Diabetes an, die auf die schlechte Ernährung zurückgehen. Und dann ist da der 40 Prozentige Beitrag zum Klimachaos. Man könnte all das lösen mit einen ökologischen Anbau-System. Unsere Studien bei der Organisation Navdania zeigen das. Wir haben gerade einen neuen Bericht mit dem Titel "Gesundheit pro Landfläche" verfasst. Darin messen wir die Produktion von Nährwerten pro Landeinheit. Ökologische Systeme, kleine biodiverse Bauernhöfe können danach mehr Lebensmittel produzieren. Wir könnten so die Nahrungsmittelproduktion verdoppeln. Das wurde auch von den Vereinten Nationen Anfang des Jahres erkannt. Mehr Bauern können so ein Auskommen in der Landwirtschaft haben. Wir würden mehr und bessere Lebensmittel produzieren. Wir würden die 40 Prozent Klimaschäden los werden. Wir würden die 70 Prozent an Wasserverschwendung im industrialisierten Landwirtschaft reduzieren können. Es ist eine vielfache win-win-Situation auf allen Ebenen. Die einzigen, die verlieren würden, wären die Landwirtschaftsunternehmen, die gelernt haben, wie man mit dem Verkauf von Gift Geld machen kann. Sie haben die Landwirtschaft toxisch und tödlich gemacht. Wir müssen uns nicht mehr vor ihnen verbeugen, uns ihnen gefügig machen. Wir können uns selbst befreien und damit zugleich auch die Erde.

Fabian Scheidler:  Fast alle Regierungen weltweit setzen auf Wachstum als wichtigste Lösungsstrategie, auch fast alle Parteien, wie zum Beispiel in Deutschland – mit leichten Schattierungen. Wie ist in Ihren Augen ein Übergang möglich? Wer ist der Akteur, wenn die Regierungen selbst nicht handeln?

Vandana Shiva: Ich denke, dass letztlich die öffentliche Meinung jeden politischen Kontext antreibt. Schauen Sie in die arabische Welt. Wer hätte an eine Rebellion in Mubaraks Ägypten gedacht? Er war so stark. Die Dinge änderten sich. Nich notwendigerweise ganz friedlich wie wir jetzt sehen. Es gibt neue Konflikte um religiöse Identitäten. Wenn die Menschen aber einmal ihr Bewußtsein geändert haben, dann verändert sich was. Selbst Regierungen müssen umplanen. Der französische Präsident Sarkozy gründete eine Kommission mit dem dem US-Ökonomen Joseph Stiglitz zur Frage: "Dient Wachstum der menschlichen Wohlfahrt?" Drei Nobelpreisträger kamen zu dem Ergebnis, dass es keine Verbindung zwischen menschlicher Wohlfahrt und Wachstum gibt. Ich berate die Regierung von Bhutan. Der Premieminister hat mich eingeladen, um Bhutan zu helfen, 100 Prozent biologisch zu werden. Die Regierung entschied vor einigen Jahren, dass das Bruttoinlandsprodukt als Meßinstrument nicht taugt. Sie kümmern sich ihre Menschen. Sie wollen das Bruttonationalglück messen. Und wenn sie uns fragen von Navdania ihnen dabei zu helfen, biologisch zu werden, dann sprechen sie davon, Glück wachsen zu lassen. Wir wollen ihnen nicht nur helfen biologisch zu werden. Wir wollen tatsächlich beginnen, Glück pro Landfläche zu messen. Ich denke, dass wenn wir beginnen Wohlstand zu entkoppeln und auszurichten auf spezielle Ziele: "Sind Eure Ökosysteme gesünder? Dann ist besser um Eure natürlich Gesundheit bestellt. Sind Eure Menschen gesünder und wohlhabender? Dann habt Ihr mehr sozialen Wohlstand. Sind Eure Konzerne reicher. In diesem Fall habt Ihre große Mengen an Unternehmensprofiten." Es kann nicht mehr gerechtfertigt werden, von Wachstum als einem anonymen Indikator zu sprechen. Wir müssen den Wachstumszusammenhang entkoppeln. Wir müssen zeigen, dass Geldflüsse tatsächlich Zerstörung bewirkt wir wir es gerade in Indien sehen im Bezug auf Landaneignungen. 300 Rupien vermehren sich so bei den Investoren zu 600.000 Rupien. Das ist falsches Wachstum. Das ist Krieg. Krieg sollte nicht gezählt werden, wenn es darum geht, menschliche Wohlfahrt zu messen. Es ist auch Zeit zu erkennen, wie dieses Wachstum, das sich bei ein paar Leuten weltweit anhäuft mehr Mubaraks kreiert. Und die neuen Mubaraks werden den gleichen Weg gehen wie die alten Mubaraks. Schließlich werden die Menschen ihre Stimme erheben und mitbestimmen.

Fabian Ssheidler: Vandana Shiva, danke für das Interview.