26.07.2012

Vorgeschmack aufs Klimachaos

Von: Fabian Scheidler

 

Große Teile der USA erleben die schwerste Dürre seit 70 Jahren, in der Hälfte aller Bundesstaaten ist der Notstand ausgerufen. Massive Ernteausfälle sorgen bereits für steigende Weltmarktpreise bei Mais (plus 70 Prozent) und Weizen (plus 50 Prozent). Colorado hat die verheerendsten Waldbrände in der Geschichte dieses Bundesstaates zu verzeichnen. Im Mittelmeerraum ein ähnliches Bild: Nach zum Teil monatelanger Trockenheit und Temperaturen von über 40 Grad haben in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland in den letzten Wochen großflächige Waldbrände gewütet – die meteorologische Kehrseite des verregneten Sommers in Mitteleuropa. Währenddessen sind über großen Teilen Chinas die heftigsten Niederschläge seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1951 niedergegangen.

Natürlich ist nicht jedes Extremwetterereignis eine Folge des Klimawandels – das ist eine Binsenweisheit. Denn das Klima ist nach der Definition der World Meteorological Organisation nichts anderes als die Statistik des Wetters über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren. Daher können einzelne Wetterereignisse kaum mehr als Indizien dafür sein, dass sich das Klima verändert. Aber diese Indizien haben sich in den letzten Jahren verdichtet und zeigen, dass schon die bisherige Erwärmung um etwa ein Grad gegenüber vorindustriellem Niveau an vielen Orten der Erde tödliches Klimachaos anrichten kann.

Im Jahr 2010 fielen über Nordpakistan die heftigsten Niederschläge seit Beginn der Messungen. An einem einzigen Tag kam mehr Regen vom Himmel als sonst in einem ganzen Monsunmonat. Vier Millionen Menschen wurden obdachlos, Tausende starben. Gleichzeitig erlebte Russland die verheerendste Hitzewelle ebenfalls seit Beginn der Aufzeichnungen mit Torf- und Waldbränden, die 188.000 Hektar Land verwüsteten. Beide Wetterereignisse hatten eine gemeinsame Ursache: eine sogenannte blockierte Wetterlage mit einem festsitzenden Hoch über Russland und flankierenden Tiefdruckgebieten über Mitteleuropa und Zentralasien. Wissenschaftler vom renommierten National Center for Atmospheric Research in Colorado kamen damals zu dem Schluss, dass der Klimawandel eine entscheidende Rolle bei der Dauer und Intensität dieser Extremwetterlage gespielt hat.[1] Blockierte Wetterlagen sind über Russland nicht selten, halten aber kaum je länger als eine oder maximal zwei Wochen. 2010 waren es fünf Wochen.

2011 wurde Ostafrika von der schwersten Dürre seit 60 Jahren heimgesucht, über elf Millionen Menschen waren direkt betroffen und konnten nur durch Lebensmittelhilfen am Leben erhalten werden. Der UN Flüchtlingskommissar sprach von der „schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt“. Diese Dürre wurde von einem Klimaphänomen namens La Niña mitverursacht, das im vorangegangenen Winter bereits im Osten Australiens für die heftigsten Überschwemmungen seit 50 Jahren gesorgt hatte. Ob der Klimawandel La Niña verstärkt, ist derzeit noch ungewiss. Die Nothilfekoordinatorin der UN, Valerie Amos, berichtete jedoch im Juli 2011, dass die Menschen in Ostafrika übereinstimmend eine beständige Zunahme von Dürren über die letzten Jahrzehnte feststellen: „Alle, mit denen ich gesprochen habe, sagten, dass es früher alle zehn Jahre eine Dürre gegeben habe, dann alle fünf und jetzt alle zwei.“ [2]

So sieht die Erde bei einem Grad plus aus. Klimaforscher prognostizieren aber eine durchschnittliche Erwärmung von bis zu sechs Grad bis Ende des Jahrhunderts, wenn weiter ungebremst fossile Brennstoffe verbrannt werden. [3] Sechs Grad Erwärmung galten im Bericht des Weltklimarats (IPCC) von 2007 noch als der Worst Case, heute wird diese Marke selbst von der konservativen Internationalen Energieagentur als wahrscheinliches Business-as-usual-Szenario gesehen.[4] Für Afrika und die Arktis würde das sogar mehr als zehn Grad plus bedeuten. Und wenn Kipppunkte des Klimasystems wie das Abtauen des Permafrostbodens, das Abschmelzen des Westantarktischen Eisschildes oder der Zusammenbruch des Amazonas-Regenwaldes einmal überschritten sind, treten zusätzlich selbstverstärkende Kreisläufe in Gang, die nicht mehr zu bremsen sind.

Angesichts solcher Szenarien wirkt das Geschacher um die Kosten der Energiewende, das zur Zeit von Teilen der Bundesregierung aufgeführt wird, wie ein Schmierentheater auf der Titanic. Die Physik der Erdatmosphäre wird sich unbeeindruckt von derartigen betriebswirtschaftlichen Erwägungen zeigen.

Auch die Aufregung um die Bauverzögerung des Flughafens Berlin-Brandenburg erscheint in diesem Licht seltsam surreal. Denn eigentlich müsste jeder Menschenfreund hoffen, dass dieser Flughafen – wie hunderte andere, die gerade entstehen – niemals in Betrieb gehen wird. Immerhin wächst der CO2-Ausstoß in keinem Bereich so schnell wie im Flugverkehr.

Jede Gesellschaft und jedes Wirtschaftssystem ist ein Subsystem der Biosphäre. Wenn das übergeordnete System, dem wir unser Leben verdanken, aus den Fugen gerät, geraten auch die Subsysteme unweigerlich ins Wanken. Daher muss die Stabilisierung des planetaren Klimasystems unbedingte Priorität genießen und darf nicht gegen kurzfristige wirtschaftliche Interessen abgewogen werden. Aus Kostengründen den Klimaschutz zu bremsen ist so, als würde man die Rettung eines Menschen mit dem Argument verweigern, dass die Rettungsmaßnahme seinen Lebensstandard verringern könnte.

Es ist letztlich gleichgültig, ob jedes der derzeitigen Extremwetterereignisse vom Klimawandel mitverursacht wurde. Entscheidend ist, dass diese Ereignisse uns eine Ahnung davon geben, wie die Welt aussehen wird, wenn wir nicht sehr schnell einschneidende Maßnahmen gegen die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle ergreifen. Denn darin sind sich die Klimaforscher einig: Mit steigenden Temperaturen werden solche Extremwettereignisse zunehmen. Jetzt noch Kohlekraftwerke, Autobahnen und Flughäfen zu bauen, ist fahrlässige Tötung. Mindestens.