06.06.2011
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Einleitung: 

Eine Folge des weltweiten Ressourcenhungers ist der Zugriff transnationaler Unternehmen auf die Eisenerz-, Aluminium- und Uranvorkommen in den indischen Bundesstaaten Chattisgarh und Orissa. Dort leben noch zahlreiche Stämme der indischen Ureinwohner (Adivasi), die Widerstand gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes leisten und nun in einen Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen, die den Zugriff auf die Ressourcen sichern sollen, und Maoisten hineingezogen werden.

Gäste: 

Vandana Shiva, Bürgerrechtlerin und Ökologin, Indien, Trägerin des Alternativen Nobelpreises

Transkript: 

David Goeßmann: In den östlichen Bundesstaaten Chattisgarh and Orissa findet ein Bürgerkrieg zwischen Regierung und Maoisten statt. Was sind die Hintergründe? Wer kämpft gegen wen und um was?

Vandana Shiva: Wenn man auf eine Karte Indiens schaut, dann erkennt man, das der zentrale Teil Indiens, der Waldgürtel, eine von Stämmen bewohnte Fläche ist. Und durch die globalisierte Ökonomie wurden Bauxit-, Eisenerz- und Kohle-Bergbau, also die ganze Reihe verschmutzender Industrien, in diese Regionen gebracht, in Bundesländer wie Chhattisgarh oder Orissa. 1996 wurde ein sehr sehr wichtiges Gesetz in Indien in Kraft gesetzt. Es beinhaltet kurz gefasst die Selbstverwaltung der Stammesgemeinschaften. Im Kern sagt das Gesetz, dass, wenn Stammesgemeinschaften eine Entscheidungen treffen müssen zum Beispiel über den Bau von Bergwerken oder Fabriken in ihrer Gegend, die höchste Autorität dann die Gemeinschaft selbst ist. In der Gegend von Chhattisgarh luden die Stämme Leute wie mich ein, die sich für die Erde und ihre Rechte einsetzen, um die Enscheidungsprozesse zu beobachten. Ich erinnere mich an Dörfer, in denen getanzt und gesungen wurde. Man saß zusammen und diskutierte im Konsens: "Wollen wir dieses deutsche Stahlwerk?" Ein deutsches Stahlwerk sollte gebaut werden. Die Dorfbewohner dachten drei Tage darüber nach und sagten: "Also, die kommen hier her, geben uns Geld. Wir werden mittellos sein. Wir werden unsere Kultur und unseren Wald verlieren. Nein, wir leben lieber weiter in unseren Wäldern und bei uns zu Hause. Wir werden unser Land nicht für das Stahlwerk geben." Dann sollte ein zweites, ein drittes Stahlwerk gebaut werden. Dann organisierte sich die Industrie und brachte die Regierung dazu, die Stammesangehörigen zu verhaften, die ihre verfassungsmäßigen demokratischen Rechte ausübten, nämlich über das Schicksal ihres Lands zu bestimmen. Dann begannen die Schießereien und Tötungen. Das ermöglichte den Maoisten in den Konflikt einzutreten. Es gibt Maoisten in vielen Ländern. Es gibt die extreme Linke überall. Es gibt viele die glauben, dass Gewalt der effektivste Weg ist, um Gerechtigkeit in einem ungerechten System zu erlangen. Als also die Schießereien begannen, wuchs gleichzeitig die Unterstützung für die Maoisten. Denn die Maoisten sagten: "Euere friedlichen Proteste werden ignoriert. Auf Euch wurde geschossen. Ihr bewaffnet Euch besser." So gelangte ein Drittel Indiens unter Maoisten-Kontrolle. Nun haben die Maoisten und die Stämme eine enge Verbindung, weil der Staat sich mit dem globalen Kapital zusammen getan hat, um die Stämme zu enteignen, ihnen ihre Resourcen, ihr Land und ihre Rechte zu nehmen. Das ist der Grund, warum es in Chhattisgarh einen Bürgerkrieg gibt. Es gibt einen Bürgerkrieg in großen Teilen Orissas. Und das ist auch der Grund, warum Kollegen von mir wie Dr. Binayak Sen ins Gefängnis geworfen wurden, als ob sie Teil der Maoistenbewegung seien. Ich habe mit Binayak Sen zusammen in Chhattisgarh Reis-Saatgut bewahrt, Chhattisgarh ist die Heimstätte von Reis. Wir hatten einmal 200.000 Reissorten. Das oberste Gericht verhängte Binayak Sen vor kurzem mit einer Geldstrafe. Man sagte, dass wenn man linke Literatur bei sich hat, man nicht automatisch ein Maoist sei, sowenig man ein Anhänger Ghandis ist, wenn man eine Ghandi Biografie bei sich trägt. Binayak Sen ist jetzt auf Kaution frei, aber es laufen weiter Anklagen gegen ihn. Hunderttausend Menschen sind im Moment im Gefängnis. Die Regierung hat private Milizen gegründent. Man nennt sie "Salva Judum". Sie töten Brüder und Schwestern, um den Weg für Investoren frei zu machen, den Bergbauindustrien, den Industriellen. Es ist ein Krieg. Der Krieg verläuft zwischen den lokalen Menschen, ihren Rechten und der Verfassung Indiens und dem Unternehmer-Staat, den Konzernen, die im Sinne des Wachstumsmodells den letzten Rest von Mineralien in einem 20 bis 30-jährigen Zerstörungsexperiment aus der Erde holen wollen.

Fabian Scheidler: Fast alle Regierungen weltweit setzen auf Wachstum als wichtigste Lösungsstrategie, auch fast alle Parteien, wie zum Beispiel in Deutschland – mit leichten Schattierungen. Wie ist in Ihren Augen ein Übergang möglich? Wer ist der Akteur, wenn die Regierungen selbst nicht handeln?

Vandana Shiva: Ich denke, dass letztlich die öffentliche Meinung jeden politischen Kontext antreibt. Schauen Sie in die arabische Welt. Wer hätte an eine Rebellion in Mubaraks Ägypten gedacht? Er war so stark. Die Dinge änderten sich. Nich notwendigerweise ganz friedlich wie wir jetzt sehen. Es gibt neue Konflikte um religiöse Identitäten. Wenn die Menschen aber einmal ihr Bewußtsein geändert haben, dann verändert sich was. Selbst Regierungen müssen umplanen. Der französische Präsident Sarkozy gründete eine Kommission mit dem dem US-Ökonomen Joseph Stiglitz zur Frage: "Dient Wachstum der menschlichen Wohlfahrt?" Drei Nobelpreisträger kamen zu dem Ergebnis, dass es keine Verbindung zwischen menschlicher Wohlfahrt und Wachstum gibt. Ich berate die Regierung von Bhutan. Der Premieminister hat mich eingeladen, um Bhutan zu helfen, 100 Prozent biologisch zu werden. Die Regierung entschied vor einigen Jahren, dass das Bruttoinlandsprodukt als Meßinstrument nicht taugt. Sie kümmern sich ihre Menschen. Sie wollen das Bruttonationalglück messen. Und wenn sie uns fragen von Navdania ihnen dabei zu helfen, biologisch zu werden, dann sprechen sie davon, Glück wachsen zu lassen. Wir wollen ihnen nicht nur helfen biologisch zu werden. Wir wollen tatsächlich beginnen, Glück pro Landfläche zu messen. Ich denke, dass wenn wir beginnen Wohlstand zu entkoppeln und auszurichten auf spezielle Ziele: "Sind Eure Ökosysteme gesünder? Dann ist besser um Eure natürlich Gesundheit bestellt. Sind Eure Menschen gesünder und wohlhabender? Dann habt Ihr mehr sozialen Wohlstand. Sind Eure Konzerne reicher. In diesem Fall habt Ihre große Mengen an Unternehmensprofiten." Es kann nicht mehr gerechtfertigt werden, von Wachstum als einem anonymen Indikator zu sprechen. Wir müssen den Wachstumszusammenhang entkoppeln. Wir müssen zeigen, dass Geldflüsse tatsächlich Zerstörung bewirkem, wie wir es gerade in Indien sehen im Bezug auf Landaneignungen. 300 Rupien vermehren sich so bei den Investoren zu 600.000 Rupien. Das ist falsches Wachstum. Das ist Krieg. Krieg sollte nicht gezählt werden, wenn es darum geht, menschliche Wohlfahrt zu messen. Es ist auch Zeit zu erkennen, wie dieses Wachstum, das sich bei ein paar Leuten weltweit anhäuft mehr Mubaraks kreiert. Und die neuen Mubaraks werden den gleichen Weg gehen wie die alten Mubaraks. Schließlich werden die Menschen ihre Stimme erheben und mitbestimmen.