27.04.2017
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Einleitung: 

Die Scheitern der progressiven Partei Syriza zeige, so Horvat, dass die Probleme in der EU nicht isoliert national betrachtet und angegangen werden können. Denn Syriza sei an der Eurozone gescheitert. Diese Art von Problemen könnten selbst von radikal linken Regierungen nicht allein gelöst werden. Zudem seien die Krisen in der EU vielfach miteinander verbunden. Der Spardruck insbesondere in den Südländern, aber auch in der EU insgesamt, verschärfe die Wirtschaftskrise, die wiederum mehr und mehr Investitionen aus China oder den Golfstaaten nach sich ziehe, die die Lücke füllten. Am Ende erodierten Arbeitsrechte und soziale Standards sowie die gesellschaftliche Akzeptanz, Flüchtlinge aufzunehmen. „All das zeigt die Verflechtung von Problemen und die begrenzte Handlungsmacht von nationalen linken Regierungen. Die Situation ist besorgniserregend. Es gibt viele Widersprüche, die letztlich Widersprüche des Kapitalismus sind.“

Gäste: 

Srećko Horvat: Mitbegründer von DiEM25, kroatischer Philosoph, Aktivist und Buchautor

Transkript: 

David Goeßmann: Sie sprechen über die Situation in Griechenland nachdem die Syriza-Regierung im Sommer 2015 der Erpressung der Troika nachgegeben hat. Was ist die wirtschaftliche und humanitäre Situation, auch in Hinsicht auf Flüchtlinge, in Griechenland, was macht Syriza jetzt und welche Rolle spielen Proteste gegen Syrizas Sparmaßnahmen hierbei?

Srećko Horvat: Ich war während des Ochi-Referendums in Griechenland. Das Referendum war meiner Ansicht nach eines der wichtigsten seit der Gründung der Europäischen Union. 62% der Bevölkerung sagten Nein zu den Sparmaßnahmen. Dann geschah das, was Bertold Brecht auf den Punkt brachte: Die Regierung war mit der Wahl des Volkes nicht zufrieden und wählte ein neues Volk. Genau das ist nach dem Ochi-Referendum passiert. Die 62% der Stimmen wurden ins Gegenteil verkehrt.

David Goeßmann: Die Regierung wurde von der Troika gelenkt …

Srećko Horvat: Man kann nicht sagen, dass Syriza keine Verantwortung trägt, aber natürlich stand die Regierung unter dem Druck der Troika. Doch es gab damals noch einen anderen Weg.
Sie haben nach der Flüchtlingskrise gefragt, die ja mit der Wirtschaftskrise in Europa verbunden ist. Ich bin vor kurzem nach Idomeni gereist. Der Ort wurde bekannt, weil dort in einer humanitären Krise 15.000 Menschen Eisenbahnschienen besetzten. Die Balkanroute wurde geschlossen. Einige Flüchtlinge sind jetzt in Belgrad, dem neuen Calais Europas, vollständig eingeschlossen. Sie leben in einer Art Limbo, ohne zu wissen, was sie tun sollen. Sie kommen nicht vor und zurück. Nachdem die Balkanroute dicht war, wurden die Flüchtlinge aus Idomeni auf verschiedene Flüchtlingslager in ganz Griechenland verteilt, wo sie nicht ein noch aus wissen. In Idomeni habe ich mit einem Leiter der griechischen Eisenbahngesellschaft gesprochen, der sagte: „Wir sind die 15.000 Flüchtlinge losgeworden, weil sie ein Problem für den freien Warenverkehr wurden.“ Als ich mit jemandem sprach, der für die Bahnfirma Eurostar im französischen Calais arbeitet, sagte er, dass sie die Flüchtlinge in Calais aus genau demselben Grund losgeworden sind. Die Flüchtlinge, die in die Züge hinein wollten, wurden nämlich zu einem Problem für die freie Kapitalzirkulation. Deshalb haben Sie heute in Calais ein hochentwickeltes Überwachungssystem, mit herumfliegenden Drohnen usw. Die Leute von Eurostar sind stolz auf die NATO-Standardzäune, die man auch bei G 20 Protesten verwendet, um Proteste fern zu halten. In Idomenie haben die Flüchtlinge in einer Art Klassenbewusstsein den Schwachpunkt erkannt: „Wenn wir die Felder besetzen, würde überhaupt nichts passieren. Durch das Besetzen der Eisenbahnschienen waren wir wenigstens jeden Tag sichtbar. Denn wir wissen, dass das die wichtigste Verbindung ist, über die Güter von Griechenland zum Westbalkan gelangen“. Es geht noch weiter: Woher kommen die Güter? Hauptsächlich aus dem Hafen von Piräus. Wem gehört der Hafen von Piräus heute? Zu 67% den Chinesen. Warum gehören heute 67% des Hafens von Piräus den Chinesen? Das liegt natürlich an Alexis Tsipras und Syriza und der Troika.

David Goeßmann: Die haben ihn verkauft.

Srećko Horvat: Die haben ihn an die Chinesen verkauft. Ich bin da hingefahren. Ich war dort, als die Arbeiter einen Monat lang gestreikt haben und wissen Sie, was sie mir gesagt haben? Sie haben gesagt: „Schau dir den chinesischen Teil des Hafens an.“ Das ist mittlerweile der größere Teil. Er läuft, weil niemand streikt. Die Arbeiter sagen, dass Streiken dort verboten sei. Es sei nicht gestattet, Gewerkschaften zu gründen. Es gäbe dort keine Tarifverhandlungen und die Arbeiter bekämen wenig Lohn. Da haben Sie jetzt China in Griechenland. Unter der Syriza-Regierung wurden zudem 14 wichtige Flughäfen an Fraport nach Deutschland verkauft. Wir haben eine sich verschärfende Wirtschaftskrise, mehr Privatisierungen, hohe Arbeitslosigkeit. Andererseits haben wir die Flüchtlingskrise, die mit der Wirtschaftskrise vielfach verbunden ist. Beides kann nicht national von Syriza gelöst werden. Warum dringt China in Europa ein? Warum bauen die Araber ein neues Dubai in Belgrad? Warum sind die Araber zum Beispiel in Bosnien präsent? Warum benutzen jetzt Russen Belgrad und Serbien in der großen Neuordnung, während immer mehr Waffen aus den USA nach Osteuropa fließen? Europa ist zu einem Kampfplatz der Weltpolitik geworden. Möglich geworden ist das aufgrund des Scheiterns des europäischen Projekts. Daher kann heute einer der wichtigsten Häfen Europas in Piräus chinesisch werden. Daher kann Russland sich in Serbien festsetzen, während die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Saudi Arabien die wirtschaftliche Lage in Europa beeinflussen. All das zeigt die Verflechtung von Problemen und die begrenzte Handlungsmacht von nationalen linken Regierungen. Die Situation ist besorgniserregend. Es gibt viele Widersprüche, die letztlich Widersprüche des Kapitalismus sind.

David Goeßmann: Wie sehen Sie die Zukunft des Euro und der Europäischen Union? Sollten wir den Euro aufgeben, um das europäische Projekt zu retten? Gibt es einen Weg für progressive Politik innerhalb der Struktur der neoliberalen EU-Verträge und des Euros, der hauptsächlich deutschen Exporten und Finanzeliten nützt?

Srećko Horvat: Ja, das stimmt vollkommen. Deutschland profitiert. Schauen Sie sich zum Beispiel Slowenien an, das einmal zu Jugoslawien gehörte. Die haben den Euro eingeführt und hatten vor mehreren Jahren eine große Finanzkrise. Der Euro ist falsch strukturiert und die Finanzkrise schwelt weiter. Gleichzeitig denke ich nicht, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen funktionieren kann und die Krise löst. Ich bin da sehr skeptisch, weil ich nicht glaube, dass man heutzutage den globalen Kapitalismus verlassen kann. Ich glaube nicht, dass man durch die Befürwortung nationaler Souveränität tatsächlich nationale Souveränität erreicht. Das war die Illusion von Linken in Großbritannien und Griechenland, die glaubten, dass man durch das Verlassen der Eurozone oder der EU endlich eine Art Staat erreicht, der vom Kapital unabhängig ist. Stellen Sie sich vor, Griechenland verließe die Eurozone, kehrte zur Drachme zurück, was hätten Sie dann heute? Dann hätten Sie noch mehr chinesische Firmen in Griechenland, welche nicht unbedingt besser als europäische Firmen sind, da sie in europäischen Firmen noch die Möglichkeit haben, Gewerkschaften zu gründen, Tarifverhandlungen zu führen oder zu streiken. Ich halte also nicht wirklich den Euro oder die Eurozone für das Problem, sondern den globalen Kapitalismus. Wenn wir nicht über den globalen Kapitalismus sprechen wollen, dann sollten wir auch über die EU schweigen.