14.12.2012
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Israel und die USA drohen dem Iran weiter mit einem Militärschlag. Der Iran verfügt aber weder über Anlagen zum Bau für Nuklearwaffen, noch hat er nach amerikanischen Geheimdienstdokumenten ein Atomwaffenprogramm. "Wenn die USA also dem Iran mit Krieg drohen, wird Israel de facto ein nukleares Monopol in der Region zugestanden. Und das ist die beste Art, eine friedliche Lösung zu verhindern. Die USA könnten auch eine andere Politik verfolgen, nämlich Druck auf Israel ausüben atomar abzurüsten, ein Abkommen auszuhandeln, das der Iran mit Sicherheit annehmen würde, wie alle anderen Staaten in der Region, die einen atomwaffenfreien Nahen Osten wollen." Die Spannungen mit dem Iran würden zudem künstlich von den USA erzeugt, um ein Klima für lukrative Waffengeschäfte mit den benachbarten Öl-Monarchien zu erzeugen.

Gäste: 

Gilbert Achcar: Politologe und Soziologe an der "School of Oriental and African Studies", University of London, Autor u.a. von "Die Araber und der Holocaust" und mit Noam Chomsky "Perilous Power"

Transkript: 

David Goeßmann: Die New York Times zitiert amerikanische und israelische Quellen, die sagen, dass die militärische Gaza-Offensive ein Test war für eine militärische Konfrontation mit dem Iran. Israel droht immer wieder dem Iran. Der amerikanische Präsident Barack Obama hat wiederholt erklärt, dass im Fall Irans „alle Optionen auf dem Tisch“ seien, während die Sanktionen die Wirtschaft im Iran weiter strangulieren und letztlich Präsident Mahmoud Ahamadinejad stärken. Es gibt zur Zeit keine Hinweise, dass der Iran Einrichtungen besitzt, nukleare Waffen herstellen zu können. Was ist Ihre Einschätzung der amerikanisch-israelischen Iran-Politik, unterstützt von europäischen Staaten, und wie wahrscheinlich ist eine militärische Eskalation?

Gilbert Achcar: Ja. Wenn man sich das Problem betrachtet, wäre die einzige sinnvolle, friedliche Lösung für die Region, die einzige sinnvolle Alternative zur derzeitigen Eskalation, ein atomwaffenfreier Nahen Osten. Und dafür kämpfen eine Menge Menschen und es handelt sich auch um die offizielle Position der arabischen Staaten, die einen atomwaffenfreien Mittleren Osten fordern.

David Goeßmann: Die UN hat dazu Resolutionen verfasst.

Gilbert Achcar: Natürlich. Die Konferenz von Helsinki hatte das zum Gegenstand. Aber wer hat sich dagegen gewehrt? Nicht der Iran, denn, Sie haben darauf hingewiesen, sagen die Iraner ja: „Wir wollen keine Atombombe bauen. Sie ist keine muslimische Waffe“, wie Khamenei und sogar Ahmadinedschad gesagt haben. „Sie tötet wahllos und das erlaubt uns unsere Religion nicht“. Sie haben solche Aussagen gemacht. Und außerdem hat der Iran den Non-Proliferation Treaty unterzeichnet, den Atomwaffensperrvertrag. Israel nicht. Jeder weiß, dass Israel eine Atommacht ist. Jeder weiß, dass Israel mindestens 200 Sprengköpfe hat. Es ist eine bedeutende Atommacht, nicht einmal ein kleine. Wenn die USA also dem Iran mit Krieg drohen, wird Israel de facto ein nukleares Monopol in der Region zugestanden. Und das ist die beste Art, eine friedliche Lösung zu verhindern. Die USA könnten auch eine andere Politik verfolgen, nämlich Druck auf Israel ausüben, atomar abzurüsten, ein Abkommen auszuhandeln, das der Iran mit Sicherheit annehmen würde, wie alle anderen Staaten in der Region, die einen atomwaffenfreien Nahen Osten wollen. Washington ist die einzige Macht, die in der Lage wäre, Israel dazu zu bewegen. Aus zwei Gründen: Zum einen weil Israel in großem Maße von den USA abhängig ist. Zum anderen, weil die USA in der Lage sind, Israels Sicherheit zu garantieren. Und Israel weiß, dass es diese Garantie de facto schon von den USA hat. Es gibt also keinen Grund, Atomwaffen auf israelischem Boden zu stationieren. Die Abrüstung wäre eine sinnvolle Politik. Aber das ist natürlich nicht das, was Netanjahu und andere israelische Regierungen gemacht haben. Was sie tun ist, auf der einen Seite das nukleare Monopol sicher zu stellen und auf der anderen Seite Bereitschaft zu zeigen, militärisch zuzuschlagen. Solche Militärschläge gab es bereits 1981, als die israelische Luftwaffe den Atomreaktor im Irak zerstört hat. Und kürzlich in Syrien, weil es dort angeblich atomare Aktivitäten gab. Und dann gibt es die permanenten Drohungen, dasselbe im Iran zu tun. Das stellt jedes Mal eine außerordentliche Gefahr dar, denn wenn man einen Atomreaktor bombardiert, wie den 1981 im Irak, gibt es keine Garantie, dass dies nicht zu einer Katastrophe führt. Eine ähnliche Katastrophe wie vor kurzem die in Japan oder die in Tschernobyl. Wenn man also sagt, man habe vor, atomare Anlagen im Iran zu bombardieren, dann ist bereits dieser Gedanke kriminell. Es ist einfach kriminell. Es zeigt, dass es keine rationale Friedensaussicht gibt. Die einzige Rationalität ist die der Kriegstreiber, die eine Gefahr, nicht nur für die Region, darstellt. Ich würde sagen für die ganze Menschheit. Denn das treibt die Gewaltspirale weiter an und führt zu einem Wettrüsten mit Massenvernichtungswaffen. Wer weiß schon, was passieren könnte? Und es ist noch weit irrationaler aus einer Friedensperspektive für ein kleines Land wie Israel, denn wie Sie wissen, macht atomare Verstrahlung nicht an Landesgrenzen halt. Keine Armee, nicht einmal die stärkste Armee der Welt, kann nukleare Verseuchung aufhalten. Israel spielt mit dem Feuer, und was da passiert, ist extrem gefährlich.

David Goeßmann: Und solch eine atomwaffenfreie Zone würde auch – neben Iran und Israel – die dort stationierten US-Truppen betreffen. Die USA sind also nicht wirklich dafür?

Gilbert Achcar: Nein, aber die USA müssen keine Nuklearwaffen in der Region stationieren. Sie brauchen das nicht, weil sie aus den USA weltweit zuschlagen können. Sie haben Interkontinentalraketen, sie haben alles was man sich nur denken kann. Das ist also nicht das Problem. Man muss auch bedenken: Die Spannungen zwischen den USA und dem Iran sind künstlich hergestellt worden. Vor Ahmadinedschad war Chatami im Amt. Chatami wurde im Westen als moderater Reformer angesehen. Chatami verfolgte friedliche Lösung von Problemen. Er hat wirklich den Dialog gesucht. Und als Belohnung gab es aus Washington George W. Bushs berühmte Rede: Die Achse des Bösen. Und wer gehört zu dieser Achse: Der Irak, Nordkorea und der Iran. Und das trotz der Chatami-Regierung. Und während dieser moderaten Regierung erklärte George Bush den Iran zum Ziel. Und das ist natürlich einer der wichtigsten Gründe für den Wahlsieg Ahmadinedschads 2005, der Niederlage Chatamis. Es schien, dass diese Politik nirgendwo hinführte. Die Vereinigten Staaten haben ein großes Interesse daran, die Spannungen in der Region aufrecht zu erhalten. Denn das erzeugt für die ganzen Öl-Monarchien am Golf eine Motivation, die Vereinigten Staaten im Land zu behalten, weil sie Angst vor dem Iran haben. Aber diese Angst rührt von den Spannungen her, die die Vereinigten Staaten bewusst anfachen. Zudem dient es dem Waffenhandel. Diese Region, diese paar Monarchien, sind die Hauptabnehmer US-amerikanischer und westlicher Waffen. Das Königreich Saudi-Arabien, die Vereinigte Arabischen Emirate und Katar kaufen den größten Teil der weltweiten Waffenproduktion. Und wer verkauft ihnen diese Waffen? Zuallererst die Vereinigten Staaten, gefolgt von Großbritannien und Frankreich. Diese Staaten verkaufen also Waffen, und das müssen sie auch tun, um ihre Rüstungsindustrie zu subventionieren. Denn diese Regierungen - wegen der Krise und so weiter - können es sich nicht leisten, neue Flugzeuge zu kaufen, sie müssen ihren Militäretat kürzen, und sie kompensieren das, indem sie den Öl-Staaten für ihr Öl-Geld Waffen verkaufen. Und ein sehr wichtiger Faktor in diesem Waffenhandel ist es, die Spannungen mit dem Iran aufrecht zu erhalten.