18.01.2013
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Einleitung: 

1991 und 2004 initiierten die USA Staatsstreiche gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Haitis Bertrand Aristide. In Osttimor marschierte das indonesische Militär 1975 ein, besetzte die Insel und brachte ein Drittel der Bevölkerung um. Die USA lieferten an das Suharto-Regime 90 Prozent der Waffen für diesen Völkermord. Die amerikanischen Medien schwiegen über diese Verbrechen und folgten unkritisch den Verlautbarungen der US-Regierungen. Goodman deckte die Hintergründe der Staatsstreiche in Haiti auf und berichtete über ein brutales Massaker des indonesischen Militärs, das sie 1991 überlebte. Ihre Reportagen trugen dazu bei, Druck auf Washington auszuüben. Osttimor errang 2002 seine Unabhängigkeit, Aristide konnte 2012 wieder nach Haiti zurückkehren. "Wir müssen jeden Tag eine Entscheidung treffen: Wollen wir das Schwert oder das Schild repräsentieren?"
 

Gäste: 

Amy Goodman: Gründerin, Produzentin und Moderatorin der globalen Graswurzel TV- u. Radio-Sendung Democracy Now, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Autorin von zahlreichen Büchern, darunter "The Silenced Majority. Stories of Uprisings, Occupations, Resistance, and Hope" (2012), New York City

Transkript: 

David Goeßmann: Als der demokratisch gewählte Präsident von Haiti  Bertrand Aristide im Jahr 2004 aus dem Land vertrieben wurde, berichteten die Medien, dass er freiwillig gegangen sei. Sie führten ein Interview mit ihm und fanden heraus, dass es ein von den USA unterstützter Coup d’Etat war. Die Mainstreammedien mussten ihre Geschichte dann übernehmen. Sie nennen das Trickle-Up-Journalismus.

Amy Goodman: Ich habe seit der ersten Amtszeit Jean Betrand Aristides immer wieder über Haiti berichtet. Er wurde 1991 für drei Jahre seines Amtes enthoben, leider durch einen von den USA unterstützten Staatsstreich. Er wurde anschließend von einer US-amerikanischen Militärmaschine wieder nach Haiti gebracht. Nach seiner Wiederwahl im Jahre 2000 wurde er auf Anweisung der USA wieder aus dem Amt entfernt und gegen seinen Willen in die Zentralafrikanische Republik gebracht. Die Medien wiederholten schlicht die Position der US-Regierung, dass Aristide das Land freiwillig verlassen hätte. Es gelang uns, mit ihm in der Zentralafrikanischen Republik, in der Hauptstadt Bangui, Kontakt aufzunehmen. Die USA arbeitete mit dem Diktator der Republik zusammen, um Aristide dort festzuhalten. Wir nahmen ein kleines Flugzeug in Begleitung des Vorsitzenden der Organisation „Transafrika“, des US-Kongressmitglieds Maxine Waters und eines Vertreters des jamaikanischen Parlaments, der Aristide eine Einladung zur Rückkehr auf die Nordhalbkugel überbrachte. Wir flogen also in die Zentralafrikanische Republik und obwohl die Bush-Regierung sagte, dass die Aristides nicht zurückkommen dürfen, taten wir genau das. Ich berichtete über Präsident Aristide, der erklärte, dass er Opfer eines US-gestützten Staatsstreichs geworden und gekidnappt worden sei. Das war im Jahre 2004. Ihm wurde die Rückkehr nach Haiti verwehrt. Er landete in Jamaica und ging schließlich in Südafrika ins Exil, wo er mehr als sieben Jahre verbrachte. Kürzlich bin ich nach Südafrika geflogen, um die Aristides bei Ihrer Rückkehr aus dem fast siebenjährigen Exil zu begleiten. Die USA, diesmal nicht die Bush-Regierung, sondern die Obama-Regierung, sprachen eine Warnung an Präsident Zuma aus und forderten: „Lassen Sie Aristide nicht aus dem Land“. Aber Zuma hat sich der Drohung widersetzt und Präsident Aristide, seine Frau und seine Tochter sind nach Haiti zurückgekehrt. Die Reaktion in Haiti war außerordentlich. Zehntausende Haitianer begrüßten den ehemaligen Präsidenten, der sich bis heute auf Haiti aufhält.

David Goeßmann: Im Jahr 1991 gingen sie gemeinsam mit Allen Nairn nach Osttimor. Seit 1975 wurde Osttimor von indonesischen Truppen besetzt. 10tausende Osttimoresen waren bereits brutal vom Suharto-Regime getötet worden, das von den USA unterstützt wurde. Sie besuchten eine Gedenkmesse, die in einem Massaker endete. Was geschah damals?

Amy Goodman: Ich war 1990 und 1991 in Osttimor. Damals war Osttimor schon 17 Jahre von Indonesien besetzt. Osttimor ist eine kleine Inselnation knapp 500 Kilometer nördlich von Australien gelegen. Am 7. Dezember 1975 marschierte Indonesien auf dem Landweg, aus der Luft und auf dem Wasserweg in Osttimor ein. 90 Prozent der Waffen stammten von den Vereinigten Staaten. Der UN–Sicherheitsrat verurteilte die Invasion, doch die US-Regierung verhinderte jegliche Maßnahmen zum Schutz der Osttimoresen. 1991 reiste ich mit meinem Kollegen Allan Nairn nach Osttimor. Er schrieb für den New Yorker, ich arbeitete an einem Feature für Pacifica Radio. Zur gleichen Zeit besuchte eine UN-Delegation 17 Jahre nach Beginn der Okkupation das Land, um die Menschenrechtssituation zu untersuchen. Am 12. November 1991 versammelten sich Menschen in einer katholischen Kirche und feierten eine Messe. Zwei Wochen zuvor war ein junger Mann von indonesischen Truppen getötet worden. In katholischen Kirchen fanden viele Menschen Schutz, sie konnten dort mit UN-Delegationen sprechen. Sie verließen ihre Häuser, legten die Arbeit nieder und gingen in die Kirchen. Es waren die einzigen zivilen Institutionen, die die indonesische Militärdiktatur erlaubte. Wir folgten an jenem Morgen der Menge. Zuerst fand eine Messe statt, dann zogen die Menschen durch die Straßen der Hauptstadt Dili. Es waren tausende. Junge Ost-Timoresen hatten auf Bettlagen Sätze wie „Warum beschießt das indonesische Militär unsere Kirchen?“ geschrieben. Sie appellierten an Präsident Georg W. H. Bush und an den US-Botschafter bei den Vereinten Nationen Thomas Pickering, dem Leiden Beachtung zu schenken und das Töten zu stoppen. Wir gingen mit ihnen zum Friedhof. Als die Leute dort ankamen, konnten wir sehen, wie das indonesische Militär aufmarschierte, bis zu 15 Soldaten je Reihe. Sie trugen US-amerikanische M16-Gewehre im Anschlag. Die Menschen konnten nicht in den Friedhof fliehen, da an beiden Seiten der Straße Mauern standen. Allan und ich entschlossen uns, an die Spitze der Menge zu gehen. Wir wussten zwar, dass das indonesische Militär viele Massaker angerichtet hatte. Aber sie haben das nie vor den Augen westlicher Journalisten getan. Ich holte also meine Ausrüstung heraus, was ich normalerweise nicht mache, da Leute, die erwischt werden, wie sie mit westlichen Journalisten sprechen, gefangen genommen oder getötet werden. Ich hing mir also mein Aufnahmegerät über die Schulter und hielt das Mikrofon wie eine Flagge nach oben. Allan hielt seine Kamera in die Höhe. So gingen wir vor der Menge her. Die Soldaten marschierten auf, verschwanden hinter einer Ecke und schlichen sich schließlich von hinten an. Ohne irgendeine Provokation, ohne jegliches Zögern, eröffneten sie das Feuer auf die Menge. Von rechts nach links metzelten sie die Menschen nieder. Sie bekamen mein Mikrofon in die Hände, sie drückten es mir ins Gesicht wie um zu sagen: „Das ist es, was wir nicht wollen.“. Dann schlugen sie mich nieder, ich fiel zu Boden. Allan konnte noch ein Foto von dem Massaker machen. Dann schmiss er sich auf mich, um mich vor weiteren Verletzungen zu schützen. Sie nahmen ihre amerikanischen M16 Gewehre und schlugen damit wie mit Baseball-Schlägern auf ihn ein, brachen ihm den Schädel. Wir lagen am Boden, Allan war blutüberströmt. Sie töteten jeden um uns herum. Schließlich schafften wir es zu einem Rote Kreuz Jeep. Mit ihm fuhren wir ins Krankenhaus. Viele Osttimoren sprangen auf, legten sich aufs Autodach. So gelangten wir als blutiges Knäuel von Menschen ins Krankenhaus. Als die Ärzte und Krankenschwestern uns beide so sahen, fingen sie zu weinen an. Wir waren nicht schlimmer zugerichtet als die Timoresen. Die Menschen strömten ins Krankenhaus, um zu sehen, ob uns die Ärzte und Schwestern retten könnten. Sie weinten meiner Meinung nach aus zwei Gründen. Wir repräsentieren für sie sowohl das Schwert als auch das Schild. Wir sind für sie das Schwert, weil die US-Regierungen nur allzu oft Waffen an Regime gibt, die Menschenrechte verletzen, wie in Indonesien. Oder sie benutzen sie selbst wie im Irak, in Afghanistan oder Pakistan. Aber die Menschen sehen in den Amerikanern, den Menschen in der industrialisierten Welt, auch noch etwas anderes, nämlich das Schild. Und die Timoresen sahen das Schild an jenem Tag mit Blut bespritzt und das vergrößerte ihre Verzweiflung noch. Das war 1991. Es gelang uns, das Land noch am gleichen Tag zu verlassen. Es gab nur ein Flugzeug, das herausflog. Wir konnten das Töten in Osttimor nicht stoppen. Wir nahmen an, dass wenn wir der Welt darüber berichteten, sie dann Druck auf die indonesische Regierung ausüben würde. Das indonesische Militär tötete an dem Tag im Jahre 1991 über 270 Timoresen. In den Vereinigten Staaten tauchte das Wort Osttimor in den 17 Jahren der Besatzung bis zu diesem Massaker am 12. November 1991 nicht einmal in den Medien auf. Keine einzige Nennung in den Nachrichtenshows von NBC, ABC, CBS. Denn die Mainstreammedien folgen oft den Vorgaben der Mächtigen. Ob es sich nun um einen republikanischen Präsidenten wie Ford, Reagan oder Bush, oder um demokratische Präsidenten wie Carter oder Clinton handelte: Sie alle lieferten die Waffen für die Menschenrechtsverletzungen in Osttimor. Und sie schützten die Interessen amerikanischer Unternehmen, die in Indonesien Geschäfte machten. Nach dem Massaker entstand eine breite Bewegung in den USA und auf der ganzen Welt. Denn wenn Leute von den Massakern erfuhren, dann wandten sie sich an ihre Kongressabgeordneten. Die Politiker in den USA konnten es nicht länger ignorieren. Interessant ist, dass in Sachen Indonesien Senator Bob Kasten aus Wisconsin die Leitung im Senat inne hatte. Paul Ryan war damals sein Assistent, der republikanische Vize-Präsidentschaftskandidat von Mitt Romney. Er lernte also an der Seite Kastens. Acht Jahre später, 1999, nach enormem Druck von außen, unterstützte die UN schließlich ein Referendum, dass es Osttimor ermöglichte, freie Wahlen abzuhalten. Ich versuchte über Indonesien nach Osttimor zu kommen, um darüber zu berichten. Doch das indonesische Militär hielt mich in Bali und Jakarta fest und deportierte mich. Aber Allan kam ins Land. In einer sadistischen Abschiedsoperation brannte das indonesische Militär Osttimor bis auf den Boden nieder, als die Menschen zu den Wahlurnen gingen. Sie töteten allein am Wahltag mehr als tausend Timoresen. Sie stimmten in überwältigender Mehrheit für den Abzug des indonesischen Militärs und für die Gründung einer unabhängigen Nation. Die Vereinten Nationen übernahmen für drei Jahre die Geschäfte. Am 20. Mai 2002 entstand dann mit Osttimor die jüngste Nation der Welt. Ich erhielt die Möglichkeit, über Australien zur großen Unabhängigkeitsfeier zu reisen. Es war beeindruckend. Hunderttausend Menschen kamen zusammen. Man muss wissen, dass das indonesische Militär in einem Vierteljahrhundert ein Drittel der Bevölkerung Osttimors, 200.000 Ost-Timoresen, getötet hat. Aber hunderttausend kamen zur Unabhängigkeitsfeier. Kofi Annan war damals der Generalsekretär der UN. Um Mitternacht hielt er eine große Rede. Danach kam Xanana Guzman mit seiner Rede. Guzman ist Rebellenführer in Osttimor gewesen. Jahrelang sperrte ihn das indonesische Militär ins Gefängnis. Er wurde nun zum Gründungspräsidenten. Er entfaltete die Flagge der Demokratischen Republik Osttimors. Man konnte sehen, wie sich die Lichter des Feuerwerks in den mit Tränen angefüllten Augen der Timoresen widerspiegelten. Sie hatten Widerstand geleistet und gewonnen. Der Preis dafür war vollkommen inakzeptabel, aber sie haben gewonnen. Diese Nation von Überlebenden hat sich durchgesetzt. Sie dankten den Menschen auf der ganzen Erde, besonders denjenigen aus den westlichen, industrialisierten, den mächtigsten Ländern, dass sie ihren Regierungen gesagt hatten, keine Waffen an menschenrechtsverletzende Regime wie Indonesien zu liefern. Die Menschen von Osttimor, die sich in jener Nacht versammelten, sollten uns eine Lehre sein. Ob wir nun Journalisten, Geschäftsleute, Ärzte, Krankenschwestern, Studenten, Arbeiter oder Arbeitslose sind: Wir müssen eine Entscheidung treffen – jeden Tag. Wollen wir das Schwert oder das Schild repräsentieren.

David Goeßmann: Vielen Dank für das Interview, Amy Goodmann.

Amy Goodman: Danke.