13.08.2015
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Einleitung: 

Griechenland habe mit den jüngsten Kreditprogrammen zwar den Euro behalten aber die Demokratie verloren. Das Land sei de facto zu einem Protektorat der anderen Eurostaaten degradiert worden. Die Troika-Institutionen würden indessen weiter im rechtsfreien Raum agieren, sie seien für keine ihrer Handlungen rechenschaftspflichtig. Die EZB verweigert bis heute eine Stellungnahme zu der von Harald Schumann aufgedeckten zyprisch-griechischen Korruptionsaffäre, in die ein führendes EZB-Mitglied verwickelt war; nicht einmal ein internes Ermittlungsverfahren findet statt.

Gäste: 

Harald Schumann, investigativer Journalist (Der Tagesspiegel), Buchautor ("Die Globalisierungsfalle", "Der globale Countdown") und Protagonist der Filme "Staatsgeheimnis Bankenrettung" und "Macht ohne Kontrolle"

Transkript: 

Fabian Scheidler: Willkommen bei Kontext TV. Wir befinden uns hier in Marburg bei der Sommerakademie des globalisierungskritischen Netzwerks attac. Unser Gast hier ist Harald Schumann, Buchautor, investigativer Journalist beim Tagesspiegel und Protagonist der Filme „Geheimsache Bankenrettung“ und „Macht ohne Kontrolle“. Herzlich willkommen bei Kontext TV, Harald Schumann! Harald Schumann: Schönen guten Tag! Fabian Scheidler: Herr Schumann, Sie schrieben kürzlich dass die Griechen mit dem letzten Kreditprogramm zwar den Euro behalten, aber die Demokratie verloren haben. Was meinen Sie damit?

Harald Schumann: Naja, es war ja ein eindeutiger Vorgang. Also, die Regierung hatte das Volk per Referendum befragt, ob sie bereit seien, sich den geforderten Auflagen der anderen Eurostaaten zu unterwerfen, oder ob sie das ablehnen. Das Volk hatte mit 60 oder 61 Prozent der Stimmen abgelehnt. Mit diesem Wählerauftrag ist die Regierung Tsipras dann angetreten und hat wahrscheinlich erhofft, dass sie, mit den Wählern im Rücken, Zugeständnisse von Seiten der Kreditgeber bekommen. Die haben sie nicht bekommen, sondern im Gegenteil: Es wurden im Grunde noch härtere Forderungen gestellt, als es zuvor verhandelt worden war. Und die Alternative war ein ungeordnetes Ausscheiden aus dem Euro, was die griechische Wirtschaft in eine noch tiefere Katastrophe gestürzt hätte, sodass der Regierung keine Wahl blieb, als diese Bedingungen anzunehmen – aber natürlich gegen den erklärten Willen der eigenen Wähler. Wenn ein solches Votum innerhalb eines Währungsverbundes nichts mehr wert ist, dann ist es keine Demokratie mehr. Griechenland ist jetzt objektiv ein Protektorat der anderen Eurostaaten.

Fabian Scheidler: Sie haben auch über die strukturellen Demokratiedefizite in der EU und in der Eurozone geschrieben. Können Sie dazu noch etwas sagen?

Harald Schumann: Das Verrückte ist, dass das gesamte Krisenregime der Eurozone nur auf sogenannter intergouvernementaler Basis stattfindet, also nur auf Basis von Verträgen zwischen den Regierungen und damit komplett außerhalb der eigentlichen gemeinschaftlichen Rechtsetzung der europäischen Union, außerhalb der europäischen Verträge. Dadurch wurde so eine Art paralegaler Raum geschaffen, ja eigentlich rechtsfreier Raum, weil diejenigen, die dort entscheiden, nicht den normalen Regeln des Rechtsstaates unterliegen. Das fängt bei der Euro-Gruppe an. Das sind die Finanzminister der Eurostaaten, das ist eigentlich ein informelles Gremium. Das steht in keinem Vertrag. Sie machen keine Protokolle, es ist nicht nachvollziehbar, wie dort eigentlich verhandelt wird. Gleichwohl sind die Beschlüsse bindend und das Wesentliche daran ist: Diese Euro-Gruppe hat ja nicht-gewählte Beamten, mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, Beamte der EU-Kommission, des internationalen Währungsfonds der EZB und seit neuestem auch von ihrem gemeinsamen verwalteten Rettungsfonds, dem europäischen Stabilitätsmechanismus, die im Auftrag der Eurozone, der Eurozonen-Finanzminister, nicht nur verhandeln, sondern durchaus auch in vielen Details Entscheidungen treffen – Regierungsentscheidungen treffen. Und dafür müssen sie sich vor keinem Parlament verantworten. Es gibt keinen Rechnungshof, der die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit dieser Entscheidungen überprüfen kann, und selbst wenn sie sich in dunkle und schmutzige Geschäfte verstrickten, selbst wenn sie korrupt wären, könnte man sie nicht belangen, weil es keinen Staatsanwalt in ganz Europa gibt, der für diese Ebene der Politik überhaupt zuständig ist. Man könnte nicht ermitteln.

Fabian Scheidler: In Ihrem letzten Film „Macht ohne Kontrolle“ über die Troika haben Sie zahlreiche Beispiele für Korruptionsfälle, an denen Mitglieder der Troika beteiligt waren, gebracht. Gab es darauf irgendwelche Reaktionen? Gab es zum Beispiel juristische Aufarbeitung dieser Fälle?

Harald Schumann: Nichts, gar nichts! Der eklatanteste Fall war die Verwicklung eines hohen EZB-Beamten in die Abwicklung der Banken in Zypern, wobei es zu einer Verschiebung von ca. drei Milliarden Euro zyprischen Vermögens auf eine griechische Bank kam. Und dieser Beamte war in enger Verbindung mit dieser Bank, zumindest hat er seine Karriere dort begonnen, sodass dort objektiv ein Interessenkonflikt vorlag. Das wäre eigentlich ganz klar Anlass für zumindest ein internes Ermittlungsverfahren bei der EZB. Die EZB hat sich bis heute geweigert, Fragen zu diesem speziellen Fall zu beantworten, und zwar nicht nur von mir, sondern auch Fragen des Abgeordneten Sven Giegold von den Grünen zu diesem Fall sind vier Monate nach der Einreichung noch immer nicht beantwortet. Daran sieht man, wie problematisch die Konstruktion ist.