15.02.2016
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Einleitung: 

Varoufakis ist Mitbegründer von DiEM25 - Democracy in Europe Movement 20205. Die Bewegung möchte eine Plattform sein für eine Demokratisierung der EU. Die drei Kernforderungen von DiEM25 sind: Transparenz der EU-Institutionen, ihre Wiederbelebung im Dienste der Bürger und die Initiierung einer europäischen Verfassung im Rahmen einer Generalversammlung. Varoufakis schlägt daher zuerst einmal vor, die Sitzungen der Euro-Gruppe, des Ecofin-Rats und die Tagungen des Europäischen Rates live zu übertragen; auch die EZB-Protokolle sollten wie die der Federal Reserve oder der Bank of England veröffentlicht werden. Zudem müssten die EU-Institutionen neu ausgerichtet werden. So könnte die EZB statt Staatsanleihen aufzukaufen, wodurch die Pensionsfonds niederdrückt würden, Anleihen der „Europäischen Investitionsbank erwerben und dadurch einen Green New Deal" finanzieren. Aber für solche Vorschläge fehlt es an demokratischen Foren. Das europäische Parlament sei ein "Scheinparlament" ohne gesetzgeberische Kompetenzen. Zudem: "Ohne Verfassung können wir keinen Binnenmarkt haben, der tatsächlich funktioniert und der zu wirtschaftlichen Ergebnissen führt, die übereinstimmen mit geteiltem Wohlstand und Demokratie."

Gäste: 

Yanis Varoufakis: Ehemaliger Finanzminister Griechenlands und Mitbegründer von "Democracy in Europe Movement 2025" (DiEM25)

Transkript: 

David Goeßmann: DiEM25 hat drei Kernforderungen. Eine davon ist die Transparenz der EU-Institutionen; zweitens die Wiedereinsetzung der EU-Institutionen, so dass diese den Bedürfnissen der Menschen dienen; und drittens die Erstellung einer neuen Verfassung durch eine Generalversammlung. Warum sind diese drei Forderungen so wichtig?

Yanis Varoufakis: Erstens ... Sie müssen immer erst gehen, bevor Sie laufen können. Sie müssen einen Schritt tun, bevor Sie irgendwo hinkommen. Was wäre der erste Schritt, den wir ohne weitere Kosten machen könnten? Direkt morgen früh? Transparenz! Wie wäre es mit einer Live-Übertragung aller wichtigen Sitzungen der Euro-Gruppe, des Ecofin-Rats mit den Wirtschafts- und Finanzministern der EU-Mitgliedsstaaten, der Tagungen des Europäischen Rates. So können Sie und ich sehen und hören, was unsere Vertreter in unserem Namen sagen. Dies könnten wir, wie gesagt, ohne weitere Kosten direkt morgen umsetzen. Sie müssen weder die EU-Verträge ändern, noch Diskussionen über die Finanzierung führen ... Mich würde sehr interessieren, wie Herr Tusk, Herr Dijsselbloem und der Chef der Europäischen Zentralbank erklären würden, warum sie das nicht wollen. Es wäre sehr schön, ihre Ansichten darüber zu hören, warum die europäischen Bürger, in deren Auftrag sie agieren, nicht das Recht haben, informiert zu werden. Im Moment weiß niemand etwas, auch die Minister können sich nicht darauf beziehen. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich beschuldigt wurde, die Sitzungen der Euro-Gruppe aufzuzeichnen. Es war meine Pflicht, sie auf Band aufzuzeichnen. Und es ist unsere Pflicht als Europäer, unsere Institutionen transparenter zu machen. Ohne Transparenz gibt es keine Demokratie. Denn wenn die Bürger nicht wissen, was ihre Regierung in ihrem Namen tut, können sie diese nicht kritisch beurteilen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Wir stecken in einer schlimmen Wirtschaftskrise. Diese betrifft uns alle unterschiedlich. In Deutschland gibt es die Rentenfonds, welche von negativen Zinsen erdrückt werden. Die Sparer laufen Sturm – zu Recht. Denn die EZB kauft massenweise Staatsanleihen – es ist eine lange Geschichte, warum dies geschieht, aber das ist ein Ergebnis der Krise. Griechenland steckt in einer großen Depression. Wir sind sozioökonomisch am Boden. In Spanien, Portugal und Irland gibt es eine Deflation. So manifestiert sich die Krise auf verschiedene Arten. Wir setzen uns nicht mit ihr auseinander. Ich war sechs Monate lang Minister – nicht sehr lange, aber ich kann Ihnen versichern, es gab nicht eine einzige Diskussion darüber, wie damit umzugehen sei. Das ist also das zweite, eher mittelfristige Ziel: Die Wiedereinsetzung bestehender Institutionen. Technisch gesehen kein Problem. Es ist nicht schwer. Das Problem ist: Wir führen keine Diskussion darüber, es gibt kein Forum dafür. Das Europäische Parlament ist kein Parlament. Welches Parlament kennen Sie, in der Weltgeschichte liberaler Demokratien, das nicht gesetzgeberisch tätig werden kann? Das Europäische Parlament kann keine Gesetze verabschieden.

David Goeßmann: Was ist mit der EZB? Sie hatte eine sehr destruktive Rolle in der Griechenland-Krise. Wie sollten wir die Europäische Zentralbank demokratisieren?

Yanis Varoufakis: Man kann eine Zentralbank nicht wirklich demokratisieren. Eine Zentralbank muss sehr technisch operieren. Aber was Sie tun können, ist: Sie können sie transparenter gestalten. Die Federal Reserve in den USA, die dortige Zentralbank, muss zwei Dinge tun, welche die EZB nicht tun muss. Erstens: Alle sechs Monate vor dem Kongress über ihre Auswirkung auf die Arbeitslosigkeit Bericht erstatten. Die EZB tut das nie wirklich. Und es gibt keinen Kongress. Das Europäische Parlament ist, wie gesagt, kein wirkliches Parlament. Es ist ein Schein-Parlament. Und  zweitens: Sie muss ihre Protokolle veröffentlichen. Wenn sie also über die Geldpolitik in Amerika diskutieren, müssen sie tatsächlich ein Protokoll verfassen und wenige Wochen später veröffentlichen, so dass die Öffentlichkeit weiß, wer was gesagt hat und wer vorgeschlagen hat, die Zinssätze zu ändern und warum. Dies ist kein linksradikaler Vorschlag. Das ist die Federal Reserve. Genau das gleiche bei der Bank of England. Europa hingegen tut nichts, und niemand weiß, dass nichts getan wird. Das ist unerträglich. Es gibt also konkrete Herangehensweisen, wie man die Institutionen wieder zum Laufen bringen kann. Anstatt Staatsanleihen zu kaufen, was Druck auf die Pensionsfonds ausübt, könnte die EZB auch Anleihen der Europäischen Investitionsbank kaufen und dadurch einen Green New Deal für Europa finanzieren. Warum wird das nicht getan? Warum gibt es keine Diskussion zu diesem Thema? Weil wir keine demokratischen Prozesse haben, bei denen wir diejenigen zur Rechenschaft ziehen könnten, die diese Diskussion nicht führen.

David Goeßmann: Und was ist mit der Verfassung?

Yanis Varoufakis: Haben wir eine Verfassung in Europa? Nein, wir haben einen Binnenmarkt. Wir haben eine gemeinsame Währung. Aber wir haben keine Verfassung. Menschen sind dafür gestorben – in den USA, in Frankreich, in Deutschland, in Griechenland. Auf dem Syntagma-Platz, wo alle Demonstrationen in Griechenland stattfinden – Syntagma bedeutet Verfassung. Platz der Verfassung. Warum? Weil die Menschen dort bei Demonstrationen für eine Verfassung gestorben sind. Wir haben keine Verfassung; wir haben keinen Rahmen, der Politik und Gesetze ein Fundament bietet. Wir haben viele Verträge, die sich selbst für ungültig erklären, die unmöglich zu lesen sind. Nehmen Sie die Verträge, unter denen die EU tätig ist, und lesen Sie sie. Sie sind nicht lesbar. Es ist so, als würden Sie das Telefonbuch lesen. Lesen Sie die amerikanische Verfassung. Sie ist wunderschön. Das ist der Grund, warum die Amerikaner sich mit ihr und dem Land identifizieren – weil es ein Dokument ist, auf das sie stolz sein können. Man mag der amerikanischen Verfassung hier und da widersprechen. Aber besser eine Verfassung, mit der wir nicht einverstanden sind, die wir aber gemeinsam beschlossen haben. Es gab angeblich einen Versuch von Giscard d’Estaing, eine Verfassung für die Europäische Union zu schreiben. Sie sollte mit den Rechten des Kapitals beginnen. So nicht! Lesen Sie die Präambel der amerikanischen Verfassung über die Rechte von Mann und Frau. Ohne Verfassung können wir keinen Binnenmarkt haben, der tatsächlich funktioniert und der zu wirtschaftlichen Ergebnissen führt, die übereinstimmen mit geteiltem Wohlstand und Demokratie.