23.10.2014
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Silvia Federici, Prof. em. für Politische Philosophie an der Hofstra University, Long Island, New York; Buchautorin ("Caliban und die Hexe")

Angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Vertreibungen und Sozialkürzungen schließen sich in den USA und auf der ganzen Welt immer mehr Menschen zusammen, um gemeinsam gesellschaftliche Räume jenseits von Markt und Staat neu zu erobern und gemeinschaftlich zu nutzen: die Commons (Gemeingüter). In Großstädten wie Detroit und New York etwa entstehen große Gemeinschaftsgärten. Dabei geht nicht nur um Ernährung, so die Sozialwissenschaftlerin Silvia Federici, sondern auch darum, zerstörte soziale Gefüge wieder aufzubauen. Solche Initiativen könnten, wenn sie sich vernetzen, zu "Gemeinschaften des Widerstandes" und zu Keimformen einer anderen Gesellschaft werden.

Mit der Streichung öffentlicher Dienstleistungen würde immer mehr Arbeit zurück in die Haushalte verlagert, so Silvia Federici; besonders Frauen seien oft chronisch überlastet, well sie zugleich Erwerbsarbeit und Sorgearbeit übernehmen müssen. Leidtragende sind neben den Frauen vor allem Kinder. Jedes vierte Kind in den USA leidet laut Statistik inzwischen an einer psychischen Krankheit. Doch Diagnosen wie "Hyperaktivität", "Aufmerksamkeitsdefizit" und "Depression" würden oft die soziale Realität nur maskieren: viele Kinder, denen Aufmerksamkeit fehlt, würden mit Medikamenten sediert. Auch alte Menschen würden zunehmend "ausrangiert", die Pflege aus Kosten- und Zeitgründen inzwischen sogar in Billiglohnländer verlagert.

In ihrem Klassiker "Caliban und die Hexe" geht Silvia Federici den Ursprüngen des Kapitalismus im 14. bis 16 Jahrhundert nach. Der Kapitalismus sei nicht, wie immer wieder behauptet wird, eine Befreiung von den Fesseln des Feudalismus gewesen, sondern eine Form der Konterrevolution gegen die massiven sozialen Bewegungen, die sich damals – angefangen vcn den Armutsbewegungen des Spätmittelalters bis den Bauernkriegen der Reformationszeit - überall in Europa ausbreiteten. Das Motto Thomas Müntzers "Omnia sunt communia" - "Alles gehört allen" - steht exemplarisch für diese Bewegungen und schlägt eine Brücke zu der heutigen Commons-Bewegung.

Occupy Wall Street sei, so heißt es oft, eine Eintagsfliege gewesen. Doch tatsächlich haben sich seit der Besetzung des New Yorker Zuccotti Parks im Herbst 2011 viele neue Initiativen gebildet. Nachdem Hurrikan "Sandy" 2012 die Ostküste der USA verwüstet hatte, organisierten Aktivisten die Initiative "Occupy Sandy", um den Menschen ärmerer Viertel zu helfen, die von den staatlichen Rettungsmaßnahmen übergangen wurden. Außerdem gründete sich die Plattform "Strike Debt" ("Schuldenstreik"), die Widerstand gegen die zunehmende Verschuldung von Studenten, Arbeitern und Erwerbslosen organisiert.