04.11.2011
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Einleitung: 

Ecuador war noch Ende der neunziger Jahre das höchst verschuldetste Land Lateinamerikas. Doch unter der Regierung Correa gelang es nach 2007, die Schuldenlast um 70 Prozent zu reduzieren und so Mittel für Sozialausgaben und Infrastruktur frei zu machen. Im Zentrum dieses Prozesses stand ein Schuldenaudit, bei dem die Legitimität der Schulden bei privaten Banken, IWF und Weltbank geprüft wurde. Der größte Teil dieser Schulden wurde für illegitim befunden, Präsident Correa beschloss, nur etwa 30 Prozent davon zurückzuzahlen. Die befürchtete Klagewelle blieb aus, statt dessen konnte das Land aufatmen, berichtet Ricardo Patiño, der damals als Finanzminister der Kommission des Audits vorstand.

 

Gäste: 

Ricardo Patiño, Außenminister der Republik Ecuador

Transkript: 

Ricardo Patiño: Ecuador hat eine historische Entscheidung getroffen, indem es ein Schuldenaudit, also eine offizielle Prüfung der Verschuldung der letzten 30 Jahre, durchführte. Es wurden alle Dokumente einer Revision unterzogen, deren Inhalt bis dato im Geheimen geblieben war, die in der Händen der staatlichen Verwaltung waren aber niemals ans Licht kamen. Es wurde deutlich, wie sich Ecuador in unverantwortlicher Weise verschuldet hatte, jedoch in geteilter Verantwortung zwischen jenen, die in Ecuador die Dokumente über die Verschuldung unterzeichneten und internationalen privaten Banken. Es ging auch darum, die Neuverhandlungsprozesse über die Verschuldung zu beleuchten, die immer zum Nachteil Ecuadors und zum Vorteil der internationalen Gläubiger ausgingen. Institutionen wie IWF und Weltbank agierten als Kassierer der Banken. Das alles führte dazu, dass in der Zeit von 1982 bis 2006 die Ressourcen unseres Landes massiv ausgebeutet wurden. Wir sprechen von einer langen Zeit. Während dieser ganzen Zeit kamen Verträge zustande, die für Ecuador nachteilig waren. Die neue Regierung unter Rafael Correa ordnete daher im Jahr 2007 eine Überprüfung der Auslandsschulden unter Führung einer Kommission an, der ich vorstand. Bei Abschluss der Arbeit der Kommission konnten wir beweisen, dass die Zweifel an der Legitimität der Auslandsschulden berechtigt waren, dass Gesetze missbraucht, die Interessen des Landes torpediert worden waren, dass es Mauschelaien zwischen den privaten Gläubigern und den Internationalen Finanzinstitutionen gab, um die Gläubiger zu bevorteilen. Negativ betroffen davon war die Wirtschaft Ecuadors. Diese Informationen wurden öffentlich gemacht. Präsident Correa entschied, dass diese Auslandsschulden nicht weiter bezahl werden, und rief zu einer "umgekehrten Versteigerung" auf. das funktionierte so: Ecuador bot an, seine Auslandschuld von den privaten Banken - die als Investitionsfonds oftmals Spekulanten sind - zurückzukaufen, aber lediglich zu einem Preis von 30 -35 Prozent des Buchwertes der Schuldverschreibungen. Es gelang uns, für knapp 900 Mio. US-Dollar die Schulden im Gesamtwert von 3 Milliarden US-Dollar zurückzukaufen. Ecuador erwartete in der Folge viele Klagen der internationalen Banken, aber unsere Argumente und die Enthüllungen im Prozess des Audits waren derart stark und überzeugend, dass schließlich keine Bank und kein Investitionsfonds eine Klage gegen unsere Regierung einbrachte. Das war ein Glück für uns, andernfalls hätte es einen enormen Rechtskampf auf internationaler Ebene bedeutet. Aber nichts passierte, und binnen weniger Monate konnten wir auf die beschriebene Weise 91% der Auslandsschuld aufkaufen. Seit 2008 besteht noch ein kleiner Teil der Ausland+dschulden fort aber wir taten all dies mit der Kraft und Stärke, die uns der Prozess des Schuldenaudits gab. Vor dem Schuldenschnitt ging ein Großteil des staatlichen Budgets und auch des BIP für Schuldenzahlungen drauf, was wiederum die Fähigkeit des Staates enorm einschränkte, sich den Grundbedürfnissen und Basisdienstleistungen für die Bevölkerung widmen zu können. Die Regierung Ecuadors verwendete im Jahr 1999, als wir eine heftige Krise durchlebten, 83% der Steuereinahmen für die Schuldenzahlungen. 83%! Ich weiß nicht, wie man so leben konnte. Nach 1999 reduzierte sich dieser Anteil. Dennoch: 2006, ein Jahr bevor Rafael Correo an die Macht kam, wurden noch 9,1% des BIP für die Schuldenzahlungen aufgewendet. Seit dem Schuldenschnitt sind es nur noch 2.5%. Das ist ein enormer Unterschied! Es ist eine Sauerstoffzufuhr, ein enormes Aufatmen für die Gesellschaft. Es hat uns erlaubt, die Investitionen für Bildung, Gesundheit und soziale Investitionen binnen drei Jahren zu verdreifachen. Das hat natürlich substanziell geholfen, die öffentlichen Dienstleistungen in unserem Land zu verbessern. Auch das Realeinkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter wurde beträchtlich verbessert, die Armut konnte gesenkt werden. Der Anteil von Menschen, die am System der sozialen Sicherung teilhaben, ist um 20% angestiegen. Die Situation des Landes hat sich stark verbessert, eben weil die Abhängigkeit von den Schuldenzahlungen zurück gegangen ist. Die zuvor für den Schuldendienst verwendeten Ressourcen konnten nicht nur die soziale Situation verbessern sondern auch zu einer Entwicklung des Produktivsektors und der Infrastruktur beitragen, die sich binnen fünf Jahren bereits stark gewandelt hat.