22.01.2021

Biden kommt, Trump geht: Können sich die USA aus dem Sturm befreien?

Von: David Goeßmann

 

Nach einem Sturm ist man froh, wenn das Haus noch steht. Und tatsächlich gibt es einige Gründe erleichtert zu sein, dass der Klimaleugner, Rassist, politische Selbstermächtiger, notorische Lügner und Coronavandale Donald Trump nicht mehr im Oval Office sitzt und die ihm ergebene republikanische Partei im Senat keine Mehrheit mehr besitzt. Vier weitere Jahre Trump- und Republikaner-Herrschaft hätten das Land tiefer in die Krise gestoßen, mit unabsehbaren Folgen. Letztlich wäre eine Stabilisierung der globalen Erhitzung bei rund 2 Grad Celsius unmöglich geworden. Denn ohne die USA keine Lösung der Klimakrise. Jetzt gibt es zumindest wieder Hoffnung.

Es sind Worte, die man lange nicht mehr gehört hat. So sprach der neue US-Präsident Joe Biden bei seiner Amtseinführung von einer Politik für alle Amerikaner, von Krisen wie Armut, Rassismus und globaler Erwärmung, die jetzt alle schnell und zugleich gelöst werden müssten. Er habe verstanden, betont er. Schon in den ersten Tagen unterzeichnete er eine ganze Reihe von präsidialen Erlassen, die Entscheidungen seines Vorgängers wieder rückgängig machen und in die richtige Richtung zeigen: bei der Immigration, beim Klima, in der Sozialpolitik.

Aber dass 25.000 Soldaten – fünfmal so viele, wie noch im Irak stationiert sind – den Machtwechsel in Washington D.C. nach dem versuchten Staatscoup vor zwei Wochen absichern mussten, zeigt, dass die Supermacht taumelt. Der Sturm mag vorüber gezogen sein, aber die Großwetterlage hat sich durch den Machtwechsel nicht geändert. Wie US-Journalist Willian Rivers Pitt auf Truthout schreibt: „Trumps Leute, gut bewaffnete Republikaner-Wählerschichten, radikalisiert durch Lügen und bekräftigt durch rassistische Wut, ziehen weiter frei im Land umher wie abtrünnige Südstaaten-Brigaden in Indianer-Tarnung, während sie entscheiden, wo sie als nächstes zuschlagen.“ Trumps Verbrecherclan und seine Komplizen machen es sich derweil in der Florida-Residenz bequem, um darüber zu befinden, wie man in Zukunft weiter politisches Chaos erzeugen kann, um daraus Profit zu ziehen. Nur zehn Republikaner stimmten im Kongress für ein Amtsenthebungsverfahren. Ob sich die Partei von Trump trennt, ist weiter eine offene Frage. Sie versucht  im Senat, den Prozess der Amtsenthebung zu verschleppen. Für die Republikaner steht letztlich der Verlust sehr vieler Wähler auf dem Spiel.

Daher wäre es naiv zu glauben, wie es jetzt immer wieder heißt, dass man nach der Trump-Phase einfach wieder zur „Normalität“ zurückzukehren, den „Reset-Button“ drücken und bei Null anfangen könne. Vielmehr sollte man sich sehr genau anschauen, was passiert ist, um nicht unbegründeten, letztlich gefährlichen Hoffnungen aufzusitzen. Denn als der Sturm der Trump-Anhänger und rechten Terroristen auf das Kapitol live am Fernsehen verfolgt werden konnte, war sofort ersichtlich, dass die, die dort wüteten, Teil eines größeren Problems sind. Der versuchte Staatscoup war ja nicht nur die Tat eines durchgedrehten Mobs. US-Präsident Trump und die „Stop The Steal“-Kampagne, an der große Teile der republikanischen Partei aktiv teilnahmen, hatten die politische Aufstandsbewegung initiiert, über Monate genährt und auf die Verhinderung des demokratischen Machtwechsels gelenkt. Sie sind die Architekten des Sturms. Und die republikanischen Coup-Macher sitzen weiter in Kongress und Senat, während der Trumpismus und das, was ihn nährt, nicht einfach mit dem Machtwechsel verschwinden werden.

Zudem ließen die Sicherheitsapparate und die Polizeiführung die Erstürmung auf offener Bühne – im Licht der Kameras vor den Augen der Welt – geschehen. Ungläubig musste zugeschaut werden, wie Verstärkung ausblieb und als die Nationalgarde später kam, lange Zeit gar nicht einschritt. Einige Polizisten öffneten den Gewalttätern die Türen, wie wir heute wissen, machten Selfies mit ihnen oder ließen sie unbehelligt von dannen ziehen, nachdem sie schwere Straftaten begangen hatten. Die Parlamentarier rannten derweil um ihr Leben. Fünf Menschen verstarben bei dem Sturm auf das Kapitol, darunter ein Polizist, der mit einem Feuerlöscher niedergeschlagen wurde. Ein Truck mit Waffen und Sprengstoffen wurde gefunden. Auch Rechtsanwälte, Ärzte, Unternehmer und Studenten nahmen an dem Aufstand teil. Beunruhigend ist auch, dass bisher nur gut 100 Aufrührer, die das Kapitol erstürmten, angeklagt worden sind.

Natürlich ist eine stundenlange, fast störungsfreie Besetzung des Kapitols durch Schwarze oder Linke undenkbar. Jeder weiß: Das wäre verhindert und bekämpft worden, auch um den Preis eines Blutbads. Die Erstürmung des Kapitols ist daher mehr als die Erstürmung des Kapitols. Es ist das Resultat einer schmutzigen Partnerschaft zwischen der republikanischen Partei und antidemokratischen Kräften, die im Hintergrund schon lange währt. Es ist Symptom eines inneren Verrottungssprozesses, der unter Trump beträchtliche Teile des politischen, medialen und Sicherheitsapparats in den Vereinigten Staaten ergriffen hat. Die Aufständischen konnten sich daher relativ sicher fühlen, spazierten wie Touristen durch die Gänge und im Kongress herum, oder pressten Polizisten, die sich ihnen in den Weg stellten, brutal gegen Wände und Türen, entnahmen einem dabei die Pistole, während sie drohten, ihn damit zu lynchen. Schwarze Polizisten rannten um ihr Leben auf der Flucht vor weißen Rassisten. Das fand vor zwei Wochen im US-Kapitol statt, mit der klaren Absicht, Joe Biden als gewählten Präsidenten gewaltsam zu verhindern. Die Wahlbetrugs-Aufständischen führten dabei das handgreiflich aus, was die republikanischen Abgeordneten kurz zuvor im Kongress mit ihrer machtbesessenen Verweigerungshaltung und ihren Lügen vom Wahlbetrug „gesitteter“ veranstalteten: politisches Chaos erzeugen und Demokratie aushebeln. Die Aufrührer fühlten sich also nicht nur auf der richtigen Seite, sondern auf der Seite der Macht.

Teile der inländischen Terroristen hatten dabei ausdrücklich die Absicht, wie die Staatsanwaltschaft in Arizona herausfand, die „gewählten Repräsentanten der Regierung der Vereinigten Staaten festzunehmen und zu töten“. Der Verschwörungstheoretiker von QAnon Jacob Chansley ließ eine Nachricht für den Ex-Vizepräsidenten Mike Pence im Senat zurück: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Gerechtigkeit geschieht“. Sein Verbrechen: Pence hatte sich gegen die Wahlbetrugskampagne gestellt. Die Trump-„Revolutionäre“ versuchten auch, der Mehrheitsführerin der Demokraten Nancy Pelosi habhaft zu werden und schrien immer wieder „Nancy! Nancy!“ durch die Hallen. Pelosi konnte wie Pence vor dem Mob in Sicherheit gebracht werden. Einer der Aufrührer posierte später in ihrem leeren Büro für die Handykameras, während draußen rechte Randalierer das TV-Equipment eines Fernsehteams zertrampelten.

Bei all dem hatten die Aufständischen angesichts ihrer Auftraggeber im Weißen Haus und der republikanischen Partei sowie den Trump-Komplizen in diversen Behörden keine Angst vor Repressionen und späteren Strafen. Nur wenige vermummten sich, die meisten stellten sich offen den Kameras. Sie schienen sagen zu wollen: Wir sind die Mehrheit, wir sind das Volk. Was soll uns schon am Ende geschehen? Selbst wenn, wir werden zu Helden und Märtyrern, zu Vorkämpfern einer kommenden Revolution. Dabei sehen sich die Aufrührer selbst als politische Eingreiftruppe und Anwälte einer schweigenden Mehrheit. Das stimmt zwar nicht. Aber es ist auch nicht ganz falsch. Im November gaben schließlich 74 Millionen US-Amerikaner, fast die Hälfte der WählerInnen, dem Corona-Leugner, Demokratieverachter und sich vor den Wahlen schon zum Sieger ermächtigenden Psychopathen Trump, der als Einpeitscher den Sturm aufs Kapitol anführte, ihre Stimme. Ein paar Zehntausend Stimmen in ein, zwei Bundesstaaten mehr für Trump, und er wäre der neue Präsident geworden. Die Vereinigten Staaten sind haarscharf und mit Glück an der Katastrophe vorbei geschliddert. Das allein zeigt, dass sich das Problem mit dem Machtwechsel nicht einfach in Luft auflösen wird.

Der Geist politischer Irrationalität und Antidemokratie ist in den letzten vier Jahren zudem überall in die amerikanische Gesellschaft eingesickert. Dass diejenigen, die gewählte Parlamentarier vor Einschüchterung und Gewalt schützen sollen, selbst in den Trump-Sog gezogen worden sind, ist eine gefährliche Entwicklung. Die Überforderung der versprengten Sicherheitskräfte am Kapitol war ja keineswegs eine Panne. Es wurde mit schweren Unruhen von radikalisierten Gruppen, die den „Wahlbetrug“ im Namen des amtierenden US-Präsidenten und der republikanischen Partei gewaltsam stoppen wollten, gerechnet. Trotzdem trafen die Verantwortlichen keinerlei Vorkehrungen, um die Ernennung Joe Bidens zum neuen Präsidenten im Kongress zu schützen.

Wie die Washington Post berichtet, warnte das FBI ausdrücklich in einem internen Bericht vor Gewalt und „Krieg“ am Kapitol noch einen Tag vor der tödlichen Invasion. In ihrer Warnung zitierte die nationale Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten einen Online-Aufruf, in dem es unter anderem heißt: „Der Kongress wird das Zerbrechen von Glass hören, wir werden Türen eintreten und das Blut der sklavisch den ‚Black Lives Matter‘- und Antifa-Gruppen ergebenen Soldaten vergießen. Greift zur Gewalt. Hört auf, von einem Protestzug zu sprechen. Macht Euch bereit für Krieg. Entweder bekommen wir unseren Präsidenten oder wir sterben.“

Um zu erkennen, dass dieser Aufruf ernst zu nehmen war, brauchte es weder V-Männer noch Geheimdienste. Seit Monaten hatten sich die rechten Proteste radikalisiert, auf offener Bühne. So traten 20.000 bewaffnete Demonstranten im letzten Januar vor das State House im Bundesstaat Virginia, dem Sitz von Parlament und Regierung. Im Frühjahr 2020 ereignete sich Ähnliches am State House von Michigan. Ein Mann erstürmte dabei das Gebäude und bedrohte einen Parlamentarier mit einem Sturmgewehr. An den Protestzügen nahmen rechtsradikale Milizen teil, darunter Gruppen wie „Three Percenters“, „Oath Keepers“ und die ultranationalistischen Straßenkämpfer „Proud Boys“. An ihrer Seite marschierten gewaltbereite Kriegsveteranen und Soldaten, vereint unter einer rechtsradikalen Agenda einschließlich Führerkult. Gleichzeitig sympathisierten immer mehr Polizisten mit den Aufständischen und stellten sich an ihre Seite. Sie fühlten sich durch die Proteste gegen Polizeigewalt der letzten Jahre an den Pranger gestellt, und einige sahen in Trump nun ihren neuen „law and order“-Heiland. Bei der Erstürmung des Kapitols in Washington D.C. waren schließlich eine Reihe von Polizeibeamten aus Seattle, New York, Philadelphia und Virginia beteiligt. Nach Recherchen von Buzzfeed waren es mindestens 28 Polizisten.

Rassismus, Autoritarismus und Rechtsradikalismus bei Polizei und auch im Militär sind zwar nicht neu und in den USA seit langem bekannt. Aber Trump schaffte es, solche Haltungen auf die große Bühne zu bringen und als neue Norm zu etablieren. Er machte politisches Machotum in staatlichen Institutionen akzeptabel, erteilte grünes Licht für rechtsradikales Gedankengut und verankerte blinde Gefolgschaft, Hass und Selbstermächtigung in viele Köpfe. Ebenso ist das Festhalten der republikanischen Partei an Trumps politischer Irrfahrt bis zum Schluss, einschließlich der Beteiligung an der Wahlbetrugskampagne, nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Resultat einer längeren Entwicklung. Die Republikaner – längst keine klassische Partei mehr, die an parlamentarischen Lösungen interessiert ist, sondern bloßer Ableger der Businessklasse – sind zunehmend gezwungen, schmutzige Mittel am Rande oder jenseits der demokratischen Ordnung zu ergreifen, um Wahlen überhaupt noch gewinnen zu können.

Denn ihr realpolitisches Programm ist für die Mehrheit der Amerikaner längst unwählbar geworden. Es richtet sich gegen die arbeitende Bevölkerung und nutzt ausschließlich den Reichen wie Superreichen. Daher setzen die Republikaner bei Wahlen auf eine Politik der Ablenkung: Sie verunsichern und schüren politisch Hass auf andere, stilisieren sich zu patriotischen Schutzpatronen gegen eine vermeintliche Zerstörung der amerikanischen Seele, betreiben Schmutzkampagnen gegen den politischen Gegner, attackieren das an sich schon dysfunktionale Wahlsystem und machen Immigration, Waffenbesitz, Abtreibung, Homosexualität und Religion zu Schicksalsfragen der Nation. Die rechte, gegen den Staat gerichtete und für totale Marktfreiheit eintretende Tea-Party-Bewegung – seit 2009 ein Machtfaktor innerhalb der republikanischen Partei – war in gewisser Weise das Vorspiel für Trumps Anti-Establishment-Strategie. Der demagogische Milliardär und Entertainer trieb das Ablenkungsmanöver jedoch in bisher nicht gekannte Höhen auf die Spitze. Er kaperte mit seiner polarisierenden Polit-Show die Partei, inszenierte sich erfolgreich als Rächer der Entrechteten und aktivierte politischen Frust, Angst und Misstrauen, die sich in der zerrissenen, extrem ungleichen amerikanischen Gesellschaft breit machen konnten. Er hatte Erfolg, auch, weil die Demokraten dem nicht nur nichts entgegensetzen konnten, sondern mit ihrer neoliberalen, der Wallstreet ergebenen Politik mitverantwortlich waren für das Desaster. Zudem fühlten sich Dutzende Millionen von Trumps kämpferischer Macher-Sprache, seinen Angriffen auf das korrupte Establishment und der von ihm personifizierten Siegermentalität angesprochen. Auch wenn viele seiner Wähler die Hetze nicht teilten, meinten sie, dass er als "Außenseiter" etwas bewegen könne. Eine trügerische Hoffnung, sicherlich. Aber Desillusionierte halten sich am Ende an jedem Strohhalm fest.

Den inneren Parteikreisen der Republikaner war Trumps Unberechenbarkeit, Illoyalität und Machtgier dabei von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie sahen in ihm letztlich den unkontrollierbaren Irrläufer, der er ist. Das gilt bis heute. Konservative und Republikaner ziehen die leise Mechanik des Politikbetriebs der Politrandale vor, um auf diese Weise der Oberschicht zu Diensten zu sein. Aber sie wollen andererseits Trumps Millionen-Wählerheer, seine aufgeheizte Follower- und Wählerschaft, nicht verlieren. Die Ankündigung von Trump nach seinem Abtritt, eine eigene Partei zu gründen, ist eine unmissverständliche Drohung an die Republikaner: Wenn ihr nicht macht, was ich will, werde ich euch an den Wahlurnen vernichten.

Gefangen in dieser Zwickmühle scheint die republikanische Partei unfähig, sich von Trump zu lösen. Daher unterstützte sie bis zuletzt die haltlosen Wahlbetrugs-Anschuldigungen. Selbst nach dem Coup-Versuch blockierten über 100 Republikaner weiter die Anerkennung des Wahlergebnisses im Kongress, bis sie durch die Parteiführung zur Räson gebracht wurden. Es gibt selbst Hinweise, dass republikanische Kongressabgeordnete kurz vor der Erstürmung Aufrührer durch das Kapitol geführt und ihnen geholfen haben sollen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass 80 Prozent der Anhänger der Republikaner weiter glauben, dass Trump seine Präsidentschaft gut ausgeführt hat. Die Hälfte der republikanischen Wähler will Trump auch in Zukunft als Anführer der Partei sehen. Das ist die „gedrückte“ Stimmungslage nach dem gewaltsamen Coup-Versuch durch Rechtsradikale und Rassisten im Auftrag von Donald Trump, bei dem fünf Menschen starben, sowie der weiter eskalierenden Katastrophe von 400.000 Corona-Toten, die in den USA wegen der Leugnungspolitik zu verzeichnen sind.

„War das der Anfang oder das Ende einer Ära?“, wird in den US-Medien nach dem Coup-Versuch ängstlich gefragt. Allein die Frage zeigt, dass eine neue Ära der politischen Kultur dort begonnen hat. Weiteres Chaos, Selbstermächtigung und Demokratiezerfall, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder Soft-Diktatur führen könnten, werden im Mainstream ernsthaft als politische Szenarien diskutiert. Die eigentliche Frage ist jedoch, wie es besser werden kann. Mit Blick auf die Biden-Administration und die Mehrheit der Demokraten im Kongress und Senat ist die Antwort im Prinzip simpel. Sie müssen eine politische Alternative anbieten und umsetzen, die für die Mehrheit der US-Amerikaner attraktiv ist und ihr Leben verbessert. Sie müssen, wie es der Demokrat Bernie Sanders formuliert, eine politische Kehrtwende vollziehen. Das ist keine leichte Aufgabe für die nächsten Jahre, schon gar nicht ein Selbstläufer. Denn die US-Politik steckt in einer Art Schraubstock, wie der 92-jährige Linguist und Dissident Noam Chomsky anmerkt:

„Man kann schon ein wenig Mitgefühl für die Abgeordneten haben, die gefangen sind zwischen mächtigen Kräften im Ringkampf miteinander. Auf der einen Seite befinden sich wütende Horden, von Trump zur Raserei angestachelt und weiter loyal zu ihm, bereit, jeden Verräter ihres Führers mit Vergeltung zu überziehen. Auf der anderen Seite schauen die Kapitäne der Finanzwelt und Industrie auf sie herab, die ihre Wahlen finanzieren und ihnen Privilegien vor die Nase halten, um sie auf Linie zu halten. (Wie viele Mitglieder des Kongresses werden nach ihrer parlamentarischen Tätigkeit Lastwagenfahrer oder Sekretärinnen?)“

Trotz aller Einschränkungen und Vorbehalte hinsichtlich der politischen Programmatik der Demokraten und des ziemlichen leeren Profils des neuen US-Präsidenten Joe Biden gibt es durchaus Ansätze für eine fortschrittliche Politik. Eines der wichtigsten Projekte ist das grüne Konjunktur- und Jobprogramm, der sogenannte Green New Deal. Ursprünglich eingebracht als Gesetzesvorlage vom Senator Ed Markey und der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez im letzten Jahr unterstützten ihn zwischenzeitlich bereits über 100 Demokraten auf dem Kapitol. Das Programm hat auch große Rückendeckung in der Bevölkerung, was sich nicht nur in Umfragen zeigt, sondern auch an der Tatsache, dass 99 Prozent aller Unterstützer bei den Senats- und Kongresswahlen ihre Sitze behaupten konnten.

Aufgrund des Drucks aus der eigenen Partei, der öffentlichen Meinung und der Sunrise-Bewegung hat sich Biden im Wahlkampf hinter den Green New Deal gestellt. Er versprach, 2 Billionen Dollar für die Energiewende bereitzustellen. Eine seiner ersten präsidialen Anordnungen ist nun der Stopp der Keystone XL Pipeline. Trump hatte sie genehmigt, Biden macht das wieder rückgängig. Es wäre die „Lunte zur größten CO2-Bombe des Kontinents“ geworden – zu den Ölsanden in Kanada, den zweitgrößten Ölvorkommen der Welt, so Klimaaktivist Bill McKibben. Der Stopp ist ein großer politischer Erfolg, wenn man bedenkt, dass allein das Verbrennen der kanadischen Ölvorräte die Welt um 1,5 Grad Celsius weiter aufheizen würde. Biden hat zudem angeordnet, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten werden. Aber, wie Klimabewegungen zu Recht einwenden: Das reicht nicht. Denn die fossile Brennstoffindustrie muss spätestens in 20 Jahren in den USA abgewickelt sein, um das 2-Grad-Ziel erreichbar zu halten. Dafür müssten die Treibhausgase in Amerika sofort und schnell reduziert werden. Nach der Wahl machte Alexandria Ocasio-Cortez daher klar, dass sie Biden nicht „vom Haken lassen“ werden.

“Wir werden sicher nicht die Vereinbarung vergessen, nur wegen einer Wahl. Wir werden die politische Organisationsarbeit weiter ausbauen und von der Regierung verlangen – von der ich glaube, dass sie anständig, menschlich und ehrenwert ist –, dass sie ihr Versprechen einhält.“

Der Gegendruck von der fossilen Brennstoffindustrie wird nicht lange auf sich warten lassen, die Wirtschaftslobbys werden gegen die Energiewende mobil machen. Es ist nicht abzusehen, was aus dem politischen Kräftemessen wird. 2008 versprach der US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama ein grünes Jobprogramm – 5 Millionen nachhaltige Arbeitsplätze und 150 Milliarden Dollar für die Energiewende. Aber es kam nur wenig dabei heraus. Eine zweite grüne Jobblase, die in der Realpolitik zerplatzt, wird fatale Konsequenzen haben für die globale Klimakrise und viele Millionen Haushalte in den USA, die eine wirtschaftliche und soziale Perspektive benötigen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Green New Deal letztlich darüber entscheiden wird, ob die Vereinigten Staaten weiter in den Sturm hineingezogen werden oder sich aus ihm befreien können.

Die Chancen für ein bahnbrechendes klimaneutrales Wirtschaftsprogramm stehen heute besser, als bei der Wahl Obamas vor zwölf Jahren. Eine Kursänderung ist auch deswegen leichter möglich, weil nicht nur die Green-New-Dealer längst eine politische Macht innerhalb der demokratischen Partei darstellen, sondern auch, weil Biden sein Klimateam bereits mit progressiven Kandidaten besetzt hat. Sie haben Verbindungen zu Umweltbewegungen und stehen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Sicherlich ist die Biden-Administration insgesamt ein Gemischtwarenladen, mit zum Teil enttäuschende Nominierung vor allem in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik. Andererseits finden sich unter den Wirtschaftsberatern progressive Vertreter, die auf staatliche Investitionen statt Austerität setzen. Zugleich übernimmt der ehemalige Präsidentschaftsanwärter und progressive Senator aus Vermont Bernie Sanders, Unterstützter des Green New Deals, den Vorsitz im mächtigen Haushaltsausschuss im Senat. Er kann damit wichtige Entscheidungen auf den Weg bringen. Die Republikanerin Nikki Haley, ehemalige Trump-Vertraute, reagiert besorgt, dass Sanders seine Position nutzen werde, um eine progressive Agenda in Bezug auf Gesundheitsvorsorge, Klima, Infrastruktur und einen reduzierten Militärhaushalt durchzusetzen. Ihre Sorge ist berechtigt. Nach seiner Ernennung machte Sanders unmissverständlich klar: „Zu lange hat unser Land Unternehmensprofite, Steuerkürzungen für die Reichen und Militärausgaben über Investitionen für die Amerikaner gestellt. Dagegen werde ich als Vorsitzender des Budgetausschusses im Senat kämpfen und eine Wende einleiten.“

Der Machtwechsel in den USA findet inmitten eines Sturms statt. Jetzt wird es darum gehen, dass im mächtigsten Land der Welt eine Politik Fuß fasst, die die vielfältigen Krisen, von denen Biden in seiner Rede bei der Amtseinführung durchaus sprach und die Trumps Sturm erst möglich machten, kompromisslos angeht. Wenn nicht, könnte es den Demokraten erneut so ergehen, wie nach der Wahl von Bill Clinton und Barack Obama zum Präsidenten. Beide verloren durch ihre neoliberale Politikagenda zwei Jahre nach Einzug ins Weiße Haus die demokratische Mehrheit im Kapitol. Die Bewegungen, die sie ins Amt gebracht hatten, glaubten ihren Hoffnungsträgern aufs Wort, das Versprochene umzusetzen. Man zog sich nach der Wahl zurück statt weiter Druck zu machen. Der Rest ist Geschichte, deren Auswirkungen bis zum Coup-Versuch vor zwei Wochen reichen.