13.08.2015
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Introduction: 

Das dogmatische Festhalten an einer Kürzungspolitik, die die Lage in Griechenland bisher nur verschlimmert hat, habe zwei zentrale Gründe, so Harald Schuman: Zum einen solle an Syriza ein Exempel statuiert werden, dass jede Regierung, die versucht, sich dem von Deutschland dominierten Krisenregime zu widersetzen, scheitern wird - um damit potentielle Nachahmer etwa in Italien, Frankreich oder Spanien abzuschrecken. Zum anderen hätten Teile der EU-Bürokratie durch das Krisenmanagement enorme Macht bekommen, die sie nicht mehr aufgeben wollen. Die europäische Sozialdemokratie habe sich währenddessen der neoliberalen Wettbewerbslogik unterworfen und sei unfähig echte Alternativen zu entwickeln.

Guests: 

Harald Schumann, investigativer Journalist (Der Tagesspiegel), Buchautor ("Die Globalisierungsfalle", "Der globale Countdown") und Protagonist der Filme "Staatsgeheimnis Bankenrettung" und "Macht ohne Kontrolle"

Transcript: 

Fabian Scheidler: Die Bedingungen für die neuen Kreditprogramme sind so hart, dass sie die Wirtschafts- und Schuldenkrise Griechenlands eigentlich nur verschlimmern können. Das geben sogar interne Papiere des internationalen Währungsfonds zu. Sind die maßgeblichen Kräfte in der EU unfähig, die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge zu verstehen, dass in einer Rezession Kürzen und Sparen die Sache nur verschlimmert, oder gibt es andere Motive dafür, dass die de facto gescheiterte Austeritätspolitik weiter durchgezogen wird?

Harald Schumann: Also dass sie unfähig währen, das zu verstehen, bestreite ich. Das ist Grundwissen der Volkswirtschaftslehre. Insofern bin ich mir sicher, dass sie wissen was sie tun. Aber es gibt natürlich ganz wichtige politische Gründe, trotzdem an dieser Politik festzuhalten. Der erste und einfachste Grund ist: Wenn man diese Politik jetzt ändern würde, würde man einräumen, dass man Fehler gemacht hat. Das würde aber bedeuten, dass man die gesamte Struktur der bisherigen Euro-Krisenbewältigung mit all den zugehörigen Auflagen, Gesetzen, Verträgen infrage stellt. Daran haben nicht nur, wenn man so will, die Architekten dieser Politik, namentlich in der Bundesregierung und im Bundesfinanzministerium, kein Interesse, sondern auch die ganzen beteiligten Beamten haben daran kein Interesse. Denn man muss schon wissen: Mit der mit der Einrichtung dieses Krisenregimes haben viele Beamte, die sich vorher vielleicht geärgert haben, dass ihre Ratschläge nicht befolgt werden, eine enorme Macht bekommen – der politologischen Term ist „power grabbing“. Sie haben sich Macht genommen oder haben sie übertragen bekommen, die sie auf jeden Fall nicht freiwillig wieder hergeben werden. Und wenn sie das Regime ändern würden, würden sie damit auch die Grundlage dieser Machtübernahme infrage stellen. Ich glaube so lässt sich am leichtesten erklären, warum sie das so dogmatisch verfolgen.

Und dann gibt es natürlich noch ein weiteres Moment: Der Bundesfinanzminister Schäuble hat sowohl gegenüber seinem früheren amerikanischen Kollegen Timothy Geithner als auch, zumindest nach dessen Aussage, gegenüber dem früheren griechischen Finanzminister Varoufakis ganz offen zugegeben, dass sie am Fall Griechenland zeigen wollen, dass dieses Krisenregime durchgezogen wird und dass jede Regierung, die sich dem nicht unterordnet, dann eben scheitern wird oder dem Scheitern überlassen wird. Insofern dient Griechenland auch als Disziplinierungsdemonstration für andere Staaten, insbesondere natürlich für Frankreich und Italien, denen diese gleiche Politik verordnet werden soll, obwohl es dort im Regierungsapparat und auch bei den dortigen Fachleuten keineswegs als Erfolg gelten kann. Im Fall Italien kann man ja auch sehen: Die Zwangsanpassung Italiens an das deutsche Euro-Krisenregime hat dem Land unglaublich geschadet. Es hat dramatisch an Marktanteilen verloren und, indem es die Möglichkeit zur äußeren Abwertung einer eigenen Währung verloren hat, nur noch die Wahl einer inneren Abwertung. Und das passt überhaupt nicht zur Struktur der italienischen Gesellschaft und der italienischen Industrie. Das ist ein riesen Dilemma.

Es gibt eine Sache, die ich nicht verstehe: Denen, die dieses Austeritätsregime so eisern verfolgen, insbesondere in Deutschland, muss klar sein, dass es wirtschaftlich nicht funktionieren kann. Also selbst wenn man mal all diese Vorbehalte –Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und so weiter – hinten anstellt, muss man sich doch darüber im Klaren sein, dass die Eurozone unmöglich nach dem Prinzip funktionieren kann, dass alle Staaten die gleiche Wirtschaftspolitik machen sollen wie Deutschland. Denn das Verrückte ist: Die deutsche Wirtschaftspolitik war nur deswegen halbwegs erfolgreich, weil alle anderen es nicht gemacht haben. Die deutsche Wirtschaftspolitik besteht darin, über Lohnmäßigung, Lohndämpfung, Lohnsenkung extrem exportstark zu werden und damit Überschüsse zu erwirtschaften. Man kann aber nur Überschüsse im Handel erwirtschaften, wenn andere Staaten Defizite machen und sich dabei verschulden. Und genau das ist ja auch in den ersten zehn Jahren der Währungsunion passiert. Wenn jetzt aber alle gleichzeitig versuchen, Überschüsse zu erwirtschaften, müsste man quasi die gesamte Eurozone in ein großes China verwandeln, mit großen Exporten in den ganzen Rest der Welt, was aber nur zu einer dramatischen Aufwertung der Währung des Euro führen würde. Und das könnte am Ende nicht aufgehen, zumal sich eben die übrigen großen Wirtschaftszonen der Welt ganz sicherlich nicht im großen Maße gegenüber der Eurozone verschulden werden. Es kann also wirtschaftlich nicht funktionieren und für diese Unlogik, dass es langfristig nicht aufgeht, habe ich, ehrlich gesagt, keine richtige Erklärung. Die einzige Erklärung, die mir einfällt, ist, dass denjenigen, die das zu entscheiden haben, die lange Frist eigentlich wurscht ist – sie reden immer von den nächsten Generationen, aber in Wirklichkeit kümmern sie sich nur um die nächsten drei, vier Jahre ihres eigenen Machterhalts und sonst nichts.

Fabian Scheidler: Wie bewerten Sie die Rolle der Bundesregierung in den Verhandlungen mit Griechenland – vertreten durch Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, aber auch Sigmar Gabriel und die SPD, die die Politik der Bundesregierung mitgetragen hat?

Harald Schumann: Die Position der Regierung Merkel, also von Frau Merkel und ihrem Finanzminister, ist relativ leicht zu erklären. Als die Eurokrise begann und Griechenland zur Überraschung zumindest auch der Märkte, der Akteure an den Märkten und vieler auch in der Politik, überschuldet war, musste man ja im Grunde den geltenden EU-Vertrag brechen, in dem drin steht: Es gibt keinen finanziellen Beistand. Eurostaaten übernehmen also füreinander keine finanziellen Verpflichtungen. Hätte man das durchgezogen, hätte das bedeutet, dass Griechenland in den Staatsbankrott geht. Und damit hätte man das gesamte europäische Bankensystem nur zwei Jahre nach Lehmann nochmals dramatisch destabilisiert und zwar sowohl deutsche und französische als auch britische sowie niederländische und vor allem natürlich auch griechische Banken – die Hauptgeldgeber des griechischen Staates waren griechische Banken, die aber ihrerseits wiederum natürlich bei ausländischen Banken verschuldet waren – also das ganze System wäre wackelig geworden. Daher musste man Griechenland zahlungsfähig halten, um es stabil zu machen. Dann hätte man, wenn man ehrlich gewesen wäre, gesagt: „Ja, wir müssen das machen, um die Banken zu retten.“ Die zweite Bankenrettung innerhalb von zwei Jahren wäre dem Wähler aber nur noch sehr schwer zu verkaufen gewesen. Allein die deutsche Bankenrettung hat über 100 Milliarden Euro gekostet. Das ist so viel, wie alle deutschen Universitäten in fünf Jahren brauchen – schon richtig viel Geld. Deswegen – ich glaube, als so eine Art politischen Unfall – hat man diese Formel erfunden: „Okay, wir sind solidarisch, wir helfen den Griechen. Dafür zeigen wir denen aber auch, wie sie ihren Start richtig machen, und dafür müssen die jetzt auch mal richtig anpacken.“ Und dadurch entstand diese fatale Konstellation, dass die Deutschen ihren Schuldnern sagen, was sie tun sollen. Das war am Anfang, glaube ich, nur eine Notlösung. Doch dann stellte sich heraus, dass über diese Mechanik Frau Merkel und Herr Schäuble plötzlich als die Künder deutscher Tugenden in Europa galten und damit innenpolitisch sehr erfolgreich waren. Auf einmal repräsentierten sie die Deutschen in Europa, die da Gutes und Solidarisches tun und den anderen sagen, wo es lang geht. Und weil das innenpolitisch so erfolgreich war, haben sie dann – natürlich wider alle ökonomische Vernunft – brachial daran festgehalten und kommen davon auch nicht wieder runter. Wenn man so will, sind sie die Gefangenen ihres eigenen innenpolitisch erfolgreichen Narrativs, das aber europapolitisch, außenpolitisch absolut destruktiv wirkt. Es ist eine furchtbare Logik, aber es gibt sie.

Sie haben nach der Rolle der Sozialdemokratie gefragt. Die Frage kann ich nur sehr schwer beantworten. Ich habe sie von Anfang an nicht verstanden. Die Sozialdemokraten haben aus Furcht davor, als Geldverschwender zu gelten, schon vor der letzten Bundestagswahl dieses Spiel mitgespielt und haben keine Opposition gemacht – wider bessere Einsicht. Es gibt innerhalb der SPD genügend kundige Ökonomen, die wussten, dass Austerität in der Rezession kontraproduktiv ist und die Sache nur schlimmer macht als sie ohnehin schon ist. Aber sie haben gedacht, sie können gegen diese unglaublich starke Erzählung, gegen dieses starke Wahlkampfmotiv, nicht an. Das ist Feigheit vor dem Feind, ja auch in der Politik gibt es dieses Phänomen. Und dann waren sie hinterher gefangen in dieser großen Koalition, die ihnen natürlich keine großen Spielräume lässt. Wenn die SPD wirklich Opposition machen würde gegen die Europapolitik, kündigt sie die Koalition auf. Dazu fehlt den führenden SPD-Funktionären schlicht der Mut, was vielleicht auch viel damit zu tun hat, dass in den letzten 10, 20 Jahren diejenigen, die wirklich noch für Überzeugungen kämpfen, nicht unbedingt diejenigen sind, die in Parteien Karriere machen. Das gilt übrigens für fast alle Parteien, nur in der SPD hat sich das besonders dramatisch ausgewirkt.

Fabian Scheidler: Die Selbstdemontage der Sozialdemokratie ist ein europäisches Phänomen, wenn man nach Frankreich schaut, nach Italien, natürlich Griechenland – die PASOK. Wie erklären Sie sich, dass die Sozialdemokraten in Europa keine Oppositionskraft mehr sind?

Harald Schumann: Ich habe nur eine Hypothese, und die ist, dass man im modernen Finanzmarktkapitalismus keine nationale Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik betreiben kann, die eigentlich selbst sozialdemokratisch wäre. Denn sofort wird man mit Kapitalentzug, Minderinvestitionen und sonstigem bestraft. Dem haben sich die Sozialdemokraten nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen europäischen Ländern weitgehend unterworfen – diesen Gesetzen des Finanzkapitalismus, in denen eben diejenigen, die über große Kapitalmengen und Kapitalflüsse entscheiden, den Daumen über der Politik einer Regierung heben und senken können. Dem hat sich die Sozialdemokratie unterworfen, weil sie es nicht geschafft hat, sich auf europäischer Ebene eine gemeinsame Antwort und eine andere Struktur zu überlegen. Wenn man sich dem aber einmal unterworfen hat, geht es immer weiter – es endet nie. Die deutschen Sozialdemokraten, und ich glaube das ist der Hauptfehler von Herrn Gabriel, haben die Erfahrung gemacht, dass man damit erfolgreich sein kann – auf Kosten anderer, wenn man so will, in der Ära nach Schröder, als die deutschen Arbeitsmarktreformen und die Zwangsflexibilisierung der Arbeitnehmer sich darin äußerten, dass Deutschland extrem exportstark wurde. Das war kurzfristig erfolgreich, und die Hoffnung der jeweils nationalen Sozialdemokraten ist, dass sie so auch auf nationalem Weg nochmals Erfolge haben können. Dass sie auf diesem Wege ihren Widersachern auf der konservativ-liberalen Seite immer ähnlicher, immer weniger unterscheidbar werden und dass sie auf dem Weg dahin eigentlich Kernelemente dessen, was Sozialdemokratie ausmacht, verloren haben, das haben sie, glaube ich, erst zu spät realisiert. Und jetzt wissen sie nicht, wie sie da wieder rauskommen sollen.