20.07.2012
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Harald Schumann, Journalist (Der Tagesspiegel), Buchautor ("Der globale Countdown") und Autor der Studie "Die Hungermacher"
Alexis Passadakis, Attac Deutschland

Durch das Spardiktat hat sich die griechische Krise weiter verschärft. Der Schuldenstand ist seit 2010 von 143 % auf 153 % des BIP gewachsen statt zu sinken. Krankenhäuser und Schulen schließen, immer mehr Menschen sind auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Erstmals seit 1945 kehrt der Hunger ins Land zurück. Spätestens jetzt sei klar, so Harald Schumann, dass es unmöglich ist, sich aus einer solchen Krise herauszusparen. Die Griechenlandpolitik, wie sie die Regierung Merkel betreibt, sei daher unverantwortlich. Einseitige Schuldzuschreibungen an Griechenland seien zudem unangebracht. Deutsche Unternehmen hätten jahrelang an Griechenland massiv verdient, sowohl durch fragwürdige Waffenlieferungen in Milliardenhöhe als auch durch Korruption, wie der Fall Siemens zeigt. Ein Herausdrängen Griechenlands aus der Eurozone hätte katastrophale Folgen für die Griechen.

Um Griechenland dauerhaft vor dem Bankrott zu bewahren, sei eine Reduzierung der Schulden auf etwa 60 Prozent des BIP erforderlich, so Harald Schumann. Da durch die Eurorettungspakete in den letzten Jahren die Schulden bei privaten Gläubigern (vor allem Banken) in öffentliche Schulden umgewandelt worden sind, müssten nun auch Staaten, darunter die Bundesrepublik, Schulden erlassen. Dies sei aber immer noch billiger als die Folgen eines Zusammenbruchs Griechenlands. Um die strukturellen Krisenursachen im Euroraum zu überwinden, brauche es langfristig eine koordinierte Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Handels- und Lohnungleichgewichte korrigiert. Das wiederum setze eine europäische Regierung voraus, die demokratisch durch Wahlen legitimiert sein muss. Deutschland müsse sein Lohndumping aufgeben, damit südeuropäische Länder eine Chance bekommen.
 

Seit Dezember 2011 hat die Europäische Zentralbank Kredite im Umfang von einer Billion (1.000 Milliarden) Euro an Banken ausgegeben - zu einem Zinssatz von 1 Prozent. Mit diesen Krediten sind keinerlei Auflagen für die Banken verbunden, weder zur eigenen Sanierung noch zur Stützung von Staaten oder zu Investitionen in Krisenländern. Die Banken verleihen das Geld zu Zinssätzen von 3 oder 4 Prozent weiter: Zusatzgewinne von 90 Milliarden Euro sind ihnen sicher, ebenso wie hohe Bonus- und Renditeausschüttungen. Mit diesem Geld hätte stattdessen Griechenland direkt geholfen werden können, so Harald Schumann. Um diese unsoziale Politik zugunsten der Banken und zu Lasten der Bürger zu beenden, müsse die EZB einer demokratischen Kontrolle durch das EU-Parlament unterworfen werden. EZB-Chefs wie der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi müssten Rechenschaft ablegen und abwählbar sein.

Die Eurokrise ist noch lange nicht ausgestanden. Griechenland, Spanien, Italien und Portugal sind den härtesten Kürzungsmaßnahmen seit Jahrzehnten ausgesetzt und rutschen in eine tiefe Rezession, während die Zinsen auf die Staatsanleihen dieser Länder schon wieder nach oben klettern. EU-Kommission und EZB setzen auf Druck besonders der Merkel-Regierung  weiter auf radikales Sparen, obwohl dieses Rezept bisher die Krise verschärft statt gelöst hat. Teil dieser Kürzungspolitik ist auch der sogenannte Fiskalpakt, der am 2. März von den EU-Staaten (mit Ausnahme Großbritanniens  und Tschechiens) unterzeichnet wurde und am 25. Mai im Bundestag ratifiziert werden soll. Gegen diesen Pakt erhebt sich zum Teil massiver Widerstand innerhalb und außerhalb des Bundestages, weil der Pakt in das Haushaltsrecht des Parlaments eingreift – und das unwiderruflich. Kontext TV sprach mit Alexis Passadakis von Attac darüber, was ein Inkrafttreten dieses Vertrages für die Menschen und die Demokratie in Europa bedeuten würde, welche Alternativen es gibt und wie sich Widerstand dagegen organisiert - vom globalen Aktionstag am 12. Mai bis zu Blockupy Frankfurt.

Im Jahr 2008 überschritt die Zahl der Menschen auf der Welt, die hungern oder an schwerer Unterernährung leiden, erstmals die Marke von einer Milliarde Menschen. Im selben Jahr wurde ein anderer Rekord gebrochen: Erstmals gab es mehr als 10 Millionen Dollar-Millionäre auf der Welt. Diese 0,2 Prozent der Weltbevölkerung besitzen ein Drittel aller Vermögen auf der Welt - Tendenz stark steigend. Noch nie gab es zugleich soviel extremen Reichtum und soviel extreme Not. Einer der Gründe für die Ausweitung des Hungers in der Welt ist laut einer Studie der Organisation Food Watch die Spekulation mit Lebensmitteln. An dieser Spekulation beteiligt sind unter anderem Fonds der Deutschen Bank und der Allianz Gruppe. Der Autor der Studie, der Journalist Harald Schumann, erklärt im Kontext TV Interview, warum die Spekulation mit Nahrungsmitteln in den letzten Jahren Ernährungskrisen in den armen Ländern des Südens produziert und was dagegen getan werden sollte.