04.11.2011
Share: mp3 | Embed video
Introduction: 

Jede Lösung der Krise würde für die Griechen hart werden, so Chatzistefanou. Ein Schuldenschnitt und die Streichung illegitimer Schulden sei der erste Schritt. Auch ein Austritt aus der Eurozone müsse erwogen werden, da der Euro bisher vor allem den Finanzinstitutionen und den Überschussländern diene. Da dies wiederum eine Pleitewelle der Banken zur Folge habe, müssten diese verstaatlicht werden. Entscheidend sei, dass die Bevölkerung die Initiative ergreife. Wenn dies weiterhin EU, EZB und IWF täten, würde es in eine Katastrophe führen. Die Proteste in Griechenland seien bei allen Unterschieden in den Zielsetzungen eng mit den Anliegen der Occupy-Bewegung verbunden.
 

Guests: 

Aris Chatzistefanou, Filmemacher aus Athen, Regisseur des Dokumentarfilms "Debtocracy", der bereits von 1,5 Millionen Zuschauern in Griechenland und weltweit gesehen wurde

Transcript: 

Fabian Scheidler: Welche Alternativen gibt es zur aktuellen Krisenpolitik?

Aris Chatzistefanou: Erst einmal müssen wir klarstellen, dass es für dieses Problem keine einfache Lösung geben wird. Die griechische Bevölkerung wird in jedem Fall einen hohen Preis bezahlen. Ich würde eine Staatsinsolvenz vorschlagen, denn die Schulden sind nicht nur unmöglich abzutragen, sondern wurden auch zu großen Teilen unrechtmäßig aufgenommen und sind daher von der griechischen Bevölkerung nicht zu verantworten. Der erste Schritt wäre also die Insolvenz. Wenn Griechenland Insolvenz anmeldet, ist sein Verbleib in der Eurozone überflüssig. Die Eurozone hat dem Land nichts mehr zu bieten.  Der Austritt, würde Griechenland erlauben, seine Währung abzuwerten und seine Industrie und Wirtschaft von Grund auf zu sanieren. Sicher ist das schwer, aber wenn wir damit Recht haben, dass die Eurozone schuld an der Krise ist, so drängt sich diese Entscheidung auf. Bei einem Staatsbankrott wird natürlich der Bankensektor zusammenbrechen. Der dritte Schritt wäre dann, die Banken zu verstaatlichen, was revolutionär oder linksradikal klingen mag, aber sogar einem konservativen Politiker einleuchten wird, denn nur so lässt sich der Bankensektor retten. Demnach sind drei Schritte notwendig: Insolvenz, Ausstieg aus der Eurozone und Verstaatlichung der Banken. Alles hängt davon ab, wer die Entscheidungen trifft und die Initiative ergreift. Denn wenn die EU, der EZB oder der IWF die Entscheidungen treffen, wird der Ausgang katastrophal für Griechenland sein. Die griechische Bevölkerung wird ihre Regierung unter Druck setzen müssen, damit sie diese Schritte ergreift und so könnte sich das Verhältnis von Kapital und Arbeit verändern, das alles bestimmt. Für eine Revolution, wie wir sie womöglich alle gerne noch erleben würden, sind wir noch nicht bereit, aber wir müssen dieses Verhältnis von Kapital und Arbeit korrigieren und wenn die Bevölkerung die Initiative ergreift, kann uns das gelingen.

Fabian Scheidler: Würde ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone nicht den nach dem zweiten Weltkrieg begonnenen europäischen Integrationsprozess gefährden?

Aris Chatzistefanou: Schon, aber was ist diese europäische Integration. Ist es eine echte politische und gesellschaftliche Integration oder nur eine Maßnahme, um Finanzinstitutionen das Geschäft zu erleichtern. Der Euro war ja tatsächlich ein Instrument zur Verbesserung des Bankensektors und der Aktienmärkte.  Eine echte europäische Völkergemeinschaft, wie wir sie uns wünschen, gibt es nicht. Es wäre schön, wenn alle Europäer eine gemeinsame Nation bilden könnten, aber mit dieser Europäischen Union ist das nicht möglich. Sie ist nur das Werkzeug einiger Finanzinstitutionen und dient nicht den Menschen in Europa.

Fabian Scheidler: Glauben Sie dass die griechische Bewegung Alternativen anzubieten hat? Was passiert dort im Moment, wohin geht die Bewegung und wie hängt sie mit anderen Bewegungen in Spanien, den USA, Stichwort "Occupy Wall Street" und Nordafrika zusammen.

Aris Chatzistefanou: In Griechenland gibt es leider derzeit keine politische Bewegung oder Partei, welche die Initiative ergreifen und einen konkreten Ausweg aus der Krise aufzeigen könnte. Die Menschen sind da, sie demonstrieren, und es wird zu Krawallen kommen, denn das passiert, wenn Menschen nicht genug zu essen für ihre Kinder haben. Die Frage ist: Was kommt danach? In Argentinien war es dasselbe: Die Menschen sind auf die Straße gegangen, aber es fehlte eine politische Bewegung um sie zu leiten.  Das Ergebnis: Zunächst haben sie gesiegt. Die Regierung Kirchner war gezwungen dem IWF eine Abfuhr zu erteilen und die Zahlungsunfähigkeit zu erklären. Einige Jahre später gab es eine politische Strömung, die den Menschen eine politische Vision bot, der sie folgen konnten. In Griechenland gehen die Straßenproteste der Bildung einer politischen Bewegung und politischer Parteien voraus, das ist die Schwierigkeit. So war es während des Bürgerkriegs und auch unter der Diktatur. Daher rechnen wir nicht mit einer Initiative von Seiten der Parteien. Wir erwarten vom Volk, dass es Präsenz zeigt und dann wird sich auch der theoretische Unterbau bilden, der die Bewegung stützt.  

Fabian Scheidler: Wie steht es mit der Verbindung zu "Occupy Wall Street"? Könnte Ihrer Ansicht nach die aktuelle Bewegung einen Einfluss auf Griechenland haben?

Aris Chatzistefanou: All diese Bewegungen, angefangen in Tunesien und Ägypten, in Spanien, Griechenland und nun in New York und anderen Städten der USA fordern das gleiche: Die Abschaffung des neoliberalen Paradigmas, dem wir die letzten zwei oder drei Jahrzehnte lang gehorchen mussten. Ihre Forderungen sind im Wesentlichen wirtschaftlicher Art: Sie verlangen nicht nur Demokratie, sondern Wirtschaftsdemokratie, wenn man es so nennen kann. Das heißt: Ja, wir haben vieles gemeinsam. Natürlich sind der Grad der Politisierung, und der Hintergrund der Bewegungen von Land zu Land unterschiedlich. Wir gehen nicht alle denselben Weg, aber unser Ausgangspunkt und unsere Ziele sind dieselben. Das verbindet uns.

Fabian Scheidler: Eine letzte Frage: Sie erwähnte bereits ein neues Projekt. Würden Sie uns davon erzählen?

Aris Chatzistefanou: Wir werden Ende Oktober den neuen Titel bekannt geben. Es wird wieder um Wirtschaft gehen und wir werden uns wieder über Crowdfunding, also über Spenden aus der Netzgemeinde finanzieren. So haben wir es bei "Debtocracy", unserem ersten Dokumentarfilm, gemacht. Ganz normaler Menschen wie Sie und ich waren bereit uns über PayPal oder per Überweisung etwas Geld zu spenden. Damit konnten wir den Film bezahlen. Wir glauben, die Zuschauer waren mit dem Ergebnis zufrieden - zwei Millionen haben den ersten Film bereits gesehen. Also werden wir sie wieder um Unterstützung bitten, um uns nicht an Firmen oder Parteien wenden zu müssen. So ist das Volk unser einziger Sponsor.
Es wird ein neuer Dokumentarfilm über die Wirtschaft, mit Griechenland als Einstiegspunkt, aber auch diesmal nicht nur auf Griechenland bezogen. Auch Finanzinstitutionen im Allgemeinen und die Privatisierung werden Thema sein. Bei den Deutschen mit ihrer Treuhand wird der Film ebenfalls Erinnerungen wecken.

Fabian Scheidler: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Chatzistefanou.

Aris Chatzistefanou: Ganz meinerseits.