18.01.2013
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Einleitung: 

"Die Medien könnten die größte Friedensmacht der Welt sein, stattdessen werden sie als Kriegswaffen eingesetzt", sagt Amy Goodman. Kriegskritiker kämen in den USA praktisch nicht zu Wort, abweichende Meinungen würden ausgefiltert. Die Medienkonzerne gäben oft nur die Positionen der Konzerne und der Politiker wieder, die von Konzernen finanziert werden. So schrumpfe die von den Medien abgebildete Meinungsvielfalt in den USA zunehmend. "Ich nenne es 'die zum Schweigen gebrachte Mehrheit', denn diejenigen, die gegen Krieg, gegen Folter sind, die wegen Armut und der Kontrollmacht der Unternehmen tief besorgt sind, sind keine Randgruppe. Sie sind nicht einmal eine schweigende Mehrheit, sondern eine Mehrheit, die zum Schweigen gebracht wird. Sie wird mundtot gemacht von Medienunternehmen, und das müssen wir ändern".

Gäste: 

Amy Goodman: Gründerin, Produzentin und Moderatorin der globalen Graswurzel TV- u. Radio-Sendung Democracy Now, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Autorin von zahlreichen Büchern, darunter "The Silenced Majority. Stories of Uprisings, Occupations, Resistance, and Hope" (2012), New York City

Transkript: 

David Goeßmann: Willkommen bei Kontext TV. 90 Prozent der Medien in den USA werden kontrolliert von sechs großen Konzernen: Comcast, Time Warner, Bertelsmann, News Corporation, Viacom, CBS und Disney. 1983 waren es noch 50 Unternehmen.

Fabian Scheidler: Heute entscheiden rund 230 Mediendirektoren über die Informationsflüsse für fast 300 Millionen Amerikaner. Viele Zeitungen und Rundfunkstationen mussten in den letzten Jahren schließen oder wurden von größeren Medienunternehmen geschluckt. In vielen Städten und Regionen haben sich durch gesetzliche Lockerungen Medienmonopole gebildet. Nur vier Prozent der Medien sind in der Hand von Frauen, ein internationaler Tiefstand.

David Goeßmann: Doch in den USA gibt es auch unabhängige Medien wie The Nation oder The Real News und progressive Internetplattformen wie Zcom oder Common Dreams. Sie haben in den letzten Jahren Zulauf bekommen, während viele kommerziellen Nachrichtenmedien unter Quoten- und Auflageschwund leiden. Eine besondere Erfolgsgeschichte stellt Democracy Now dar. Seit 1997 sendet die spendenfinanzierte Graswurzel- Radio- und TV-Sendung jeden Morgen eine Stunde aus New York. Heute ist Democracy Now ein globales Programm, das auf über 1000 Rundfunkstationen in den USA und weltweit eingeschaltet und von hunderttausenden im Netz abgerufen wird. Die unabhängige Berichterstattung von Democracy Now über Kriege, die Finanzkrise, den Klimawandel oder globale Protestbewegungen hat neue Standards im amerikanischen Nachrichten-Journalismus gesetzt.

Fabian Scheidler: Unser Gast ist heute die Gründerin und Moderatorin von Democracy Now, Amy Goodman. Die Journalistin hat dutzende Preise und Auszeichnungen erhalten, darunter den renommierten George Polk Award. Zudem ist sie als erste Journalistin Trägerin des Right Livelihood Award, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis. Goodman ist Autorin von mehreren Büchern, ihr letztes hat den Titel: „The Silenced Majority: Stories of Uprisings, Occupations, Resistance, and Hope“, „Die zum Schweigen gebrachte Mehrheit: Geschichten von Aufständen, Besetzungen, Widerstand und Hoffnung“. Kontext TV hat Amy Goodman im August im Democracy Now Studio besucht.

David Goeßmann: Sie sagen, dass Medien mächtiger als Bomben sind. Was meinen Sie damit?

Amy Goodman: Die Medien könnten die größte Friedensmacht der Welt sein, stattdessen werden sie als Kriegswaffe eingesetzt. Wenn die Vereinigten Staaten Krieg führen, rühren die Medien meist die Kriegstrommel, anstatt wichtige Fragen zu stellen. Das Spektrum an Fragen bewegt sich zwischen den Positionen der Demokraten und der Republikaner. Und wenn die sich einig sind, gibt es keine Meinungsvielfalt. Senatorin Hillary Clinton hat seinerzeit im Vorfeld des Irakkrieges zusammen mit den Republikanern Präsident Bushs Kriegspläne im Irak unterstützt. Und die Medien spiegelten dann die Position der Demokraten und Republikaner wider, die schlichtweg lautet: „Sie sind sich einig.“ Aber wir brauchen Medien, die das gesamte Meinungsspektrum abbilden, da die Mehrheit der Menschen eben nicht in diesen schmalen Bereich fällt. Ich nenne es „die zum Schweigen gebrachte Mehrheit“, denn diejenigen, die gegen Krieg, gegen Folter sind, die wegen Armut und der Kontrollmacht der Unternehmen tief besorgt sind, sind keine Randgruppe. Sie sind nicht einmal eine schweigende Mehrheit, sondern eine Mehrheit, die zum Schweigen gebracht wird. Sie wird mundtot gemacht von Medienunternehmen, und das müssen wir ändern.

David Goeßmann: Democracy Now startete den Sendebetrieb vor über 16 Jahren auf Pacifica Radio. Die globale Graswurzel-Nachrichtensendung wird heute auf über 1000 Rundfunkstationen gesendet. Sie nennen die Sendung die „Ausnahme zu den Mächtigen“.

Amy Goodman:  Wir von Democracy Now haben den Begriff “Exception to the Rulers“, der Ausnahmefall zur Macht, geprägt. Das ist für uns Aufgabe der Medien. Wir dürfen nicht Teil des Parteiensystems werden. Wir müssen die Machthaber zur Rechenschaft ziehen. Es gibt einen guten Grund, weshalb unser Beruf der einzige ist, der ausdrücklich durch die Verfassung der USA geschützt ist. Wir sind die Kontrollinstanz der Macht. Ich habe zusammen mit meinem Bruder David Goodman ein Buch mit dem Titel „Rauschen“ geschrieben. Wir haben das Buch so genannt, da wir trotz digitalem Radio und HDTV im digitalen Zeitalter nur Rauschen empfangen. Ein Schleier an Lügen, Fehldarstellungen, Verzerrungen und Halbwahrheiten vernebelt die Realität. Dabei sollten die Medien ein Rauschen im eigentlichen Wortsinn erzeugen: Kritik, Widerstand, unerwünschte Einmischung. Wir brauchen Medien, die über die Macht berichten und nicht Medien, die berichten, um Macht zu erlangen. Medien, die tatsächlich eine Vierte Gewalt sind und nicht für die Gewalt arbeiten. Und Medien, die von den Bewegungen berichten, die dieses Rauschen erzeugen und Geschichte schreiben. Das wären Medien, die einer demokratischen Gesellschaft dienen.

David Goeßmann: Sie laden Menschen in ihre Sendung, deren Stimmen kaum in den amerikanischen Mainstreammedien gehört werden. Wer sind diese Dissidenten, Kriegskritiker, Aktivisten und Whistleblower? Worin liegt die Bedeutung dieser „gegnerischen Kultur – eine Formulierung des verstorbenen US-Kritiker Howard Zinn?

Amy Goodman: Medien sollten Andersdenkenden einen Zufluchtsort bieten. Dieses Land ist aus Vielfalt geboren und nur der freie Austausch unterschiedlicher Meinungen wird dem Land eine Zukunft geben. Aber allzu oft geben die Medienkonzerne nur die Positionen der Konzerne und der Politiker wieder, die von Konzernen finanziert werden. Die von den Medien abgebildete Meinungsvielfalt nimmt in den USA ab, nicht zu. Dabei ist genau das die Aufgabe der Medien. Es ist eine sehr große Verantwortung. Ich betrachte die Medien als einen erdumspannenden Küchentisch, an dem wir alle sitzen und die wichtigsten Fragen des Tagesgeschehens diskutieren: Krieg und Frieden, Leben und Tod. Tun wir das nicht, lassen wir unsere Soldaten und Soldatinnen im Stich, denn sie können diese Diskussion auf Militärbasen nicht führen. Sie sind auf den Diskurs in der Zivilgesellschaft angewiesen - davon hängt ab, ob sie töten müssen oder auch getötet werden. Es ist eine Frage von Leben und Tod. Führen wir diese Auseinandersetzungen nicht, schaden wir der demokratischen Gesellschaft. Durch die Medien lernen wir die Welt verstehen. Kennen wir ein Land oder eine Person nicht persönlich, erfahren wir nur in den Medien davon. Dieses Bild darf nicht durch die Mikrofone oder Kameras der Konzerne verzerrt werden.

David Goeßmann: Zehntausende Menschen sind in Afghanistan aber auch Pakistan durch den Drohnenkrieg umgekommen. 1.5 Millionen Menschen sind nach einer Untersuchung des Lancet durch den Irakkrieg und seine Folgen umgekommen. Die irakische Stadt Falludscha hat eine hohe Krebsrate, sogar höher als die in Hiroshima nach dem Atombombenabwurf, da die US-Streitkräfte Uranmunition eingesetzt haben. Weiss die US-Bevölkerung davon?

Amy Goodman: Sind die USA an Kriegen beteiligt, schenken die Medien dieser Tatsache viel Aufmerksamkeit, aber nicht denjenigen, gegen die Krieg geführt wird, sondern den Menschen, die die Bomben abwerfen. Und wenn sie das Land wieder verlassen, erlischt jegliches Interesse. Wir müssen aber auch verstehen, was nach einem Krieg passiert. Und dann gibt es noch Jemen und Pakistan. Hier führt Präsident Obama eine Liste mit Personen, die er persönlich zur Tötung freigibt. Das wäre vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem Obama konservativer ist als einige der konservativsten republikanischen Präsidenten. Vergleichen Sie Obama mit Richard Nixon. Es ist unglaublich, das erwähnen zu müssen, aber Obama hatte angekündigt, Guantanamo als eine seiner ersten Amtshandlungen innerhalb eines Jahres zu schließen, aber es ist nicht geschehen. Der Drohnenkrieg wird ausgeweitet und, so traurig es auch ist, solange es keine Toten gibt - amerikanische Tote - schenkt dem niemand Beachtung. Beim Drohnenkrieg werden auf amerikanischen Basen Knöpfe gedrückt, die am anderen Ende der Welt Opfer fordern. Wir wollen keine dieser Opfer zu Gesicht bekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Krieg im 21. Jahrhundert keine Antwort auf Konflikte ist. Und wir brauchen deshalb Medien, die über die Ansichten der Friedensstifter, der Diplomaten, der Friedensaktivisten berichtet und nicht die der Kriegstreiber.