10.10.2013
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Einleitung: 

Eine andere Form von Vertreibung und Ausschluss ist das sogenannte Land Grabbing. Staaten und transnationale Unternehmen kaufen in Afrika, Asien und Lateinamerika riesige landwirtschaftliche Flächen auf, bisher schätzungsweise 200 Millionen Hektar. Besonders durch den Anbau von Agrartreibstoffen für Biodiesel und E10-Benzin werden Menschen von ihrem Land vertrieben und Landschaften durch Monokulturen ersetzt. Auf diese Weise entstehe auf Dauer eine immer größer werden Fläche von totem Land. Zu den größten Käufern gehören Banken wie Goldman Sachs und J.P. Morgan sowie Hedge Fonds.

Gäste: 

Saskia Sassen, Professor für Soziologie an der Columbia University, New York, Gastprofessorin an der London School of Economics, Autorin zahlreicher Bücher, darunter "The Global City"

Transkript: 

Fabian Scheidler: Sie subsummieren unter dem Begriff der Vertreibung auch das Landgrabbing, also den Ankauf riesiger Anbauflächen durch Staaten und Firmen. Was geht da vor sich, was sind die Triebkräfte und welche Auswirkungen hat das auf die Bevölkerungen?

Saskia Sassen: Wir sprechen von schätzungsweise 200 Millionen Hektar Land. Es geht um den Anbau von Energiepflanzen, um Zugang zu Wasser, um Zugang zu seltenen Erden und so weiter. Daneben auch um traditionelle Bodenschätze und Öl, aber das ist ein anderes Thema. Richtig angefangen hat es eigentlich nach 2006 als das Landgrabbing plötzlich rasant anstieg. Natürlich ist das in gewisser Weise eine alte Geschichte, die bis in die Kolonialzeit zurückgeht mit viel auf und ab. Aber plötzlich, und zwar im Jahr 2006, genau als sich die Finanzkrise zusammenbraute, gab es einen scharfen Anstieg. Und wir wissen - auch wenn es keine genauen Zahlen gibt - dass bekannte Finanzinstitute wie JP Morgan oder Goldman Sachs sehr viel Land gekauft haben und ebenso eine bedeutende Zahl von Hedgefonds. Hedgefonds müssen nicht alles offenlegen, was sie tun, sie basieren auf Privatverträgen und sind daher schwerer zu verfolgen, aber es gibt Möglichkeiten, ihnen auf die Spur zu kommen.

Für mich ist aber noch eine andere Frage interessant: Was passiert, wenn China in Kongo oder Sambia 2,8 Mio. Hektar Land kauft, um dort Ölpalmen für Biokraftstoffe anzubauen? Es verdrängt Fauna, Flora, viele Dörfer und viel ländliches Fertigungsgewerbe. Es verdrängt historische, geographische und sinnstiftende Strukturen, die Lebensgrundlagen unterschiedlichster Menschen -und auch die Menschen selbst. Dadurch wird gleichzeitig ein Territorium mit seiner komplexen gewachsenen Struktur zu bloßem Agrarland für riesige Plantagen herabgestuft. Durch solche Plantagen wurde zum Beispiel auch die Flora und Fauna der Karibik zerstört. Plantagen sind ein brutaler Angriff auf die Biosphäre. Sie ebnen alles ein und was bleibt ist Monokultur, die nach einigen Zyklen nur totes Land hinterlässt. Die vertriebenen Menschen verlieren mehr als nur ihre Landparzelle. Sie verlieren ihre Geschichte, sie verlieren die ganze Substanz ihres Lebens, ihr Gemeinschaftsgefühl, usw. Oft landen sie natürlich in den Slums der Städte. Für mich steckt viel Gewalt in diesem Prozess. Schauen Sie sich die Hauptgründe der Landnahme an und sie werden feststellen, dass die Biokraftstoffe eine zentrale Rolle spielen. Sie sind eine falsche Alternative zum Erdöl. Wenn es heißt: „Ja, wir machen Biodiesel!“ – Das ist absolut zerstörerisch. Und noch eines fällt auf – und das finde ich hochinteressant: Die Geschichte Afrikas zeigt, dass in einer ganzen Reihe von Ländern in den 60ern und 70ern die Investitionen in die Massenfertigung angestiegen sind. Massenfertigung führt zur Entstehung einer breiten Arbeiterklasse und einer bescheidenen Mittelklasse. Aber jetzt fließen immer mehr Auslandsinvestitionen in – raten Sie mal – die Rohstoffgewinnung. Das kommt einer Neueinordnung großer Teile Afrikas als Quelle für Mineralien, Metalle, Wasser und anderer Ressourcen gleich. Hochgradig problematisch. Und zurück bleibt totes Land und erschöpfte Grundwasserreserven. Ich habe eine Karte toter Landstriche, weil das Land sonst aus dem Gedächtnis verschwindet als ob es nie existiert hätte. Wenn ein riesiges Stück Land tot ist, dann geht man nicht mehr hin und schaut danach, denn da passiert ja nichts. Als Journalist besucht man ja die Plantage wenn sie gerade entsteht. Deshalb brauchen wir eine Weltkarte der toten Landflächen. Wir sollten das als besonderes Hoheitsgebiet betrachten, sage ich immer mit etwas Ironie, denn Hoheitsgebiet heißt ja, dass man etwas formal anerkennt. Dann würden wir wirklich sehen, was wir gemeinsam geschaffen haben: Eine gewaltige Menge totes Land.