02.09.2021
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Einleitung: 

Wir müssen so schnell wie möglich aus den Treibhausgasen aussteigen, um den Klimakollaps noch zu verhindern, sagt Hans-Josef Fell. Der Umstieg ist in zehn Jahren machbar: 100 Prozent Erneuerbare, 100 Prozent biologische Land- und Forstwirtschaft und 100 Prozent emissionsfreie Materialwirtschaft. Es ist im Kern eine Industrierevolution, die die Wirtschaft stimuliere, Arbeitsplätze schaffe, Energie günstiger mache und die Erde für die menschliche Zivilisation bewahre. Doch die Energierevolution wird weiter blockiert: von Parteien und Regierungen, die mit Schlagworten wie „Klimaneutralität“ weiter auf fossile Brennstoffe setzen. Gleichzeitig werden Erneuerbare mit Hinweis auf Ressourcenraubbau und Umweltverschmutzung diffamiert – auf der Grundlage von aufgebauschten Halbwahrheiten. Fell fordert zudem die Begrünung von ariden Regionen kombiniert mit Solaranlagen wie in der Gobiwüste in China und die Umsetzung kohlenstoffsenkender Technologien wie Biokohle aus Klärschlamm. Da die Klimaschutz-Blockade Elemente zeige, die man in Unrechtsstaaten findet, unterstützt Fell auch Aktionen zivilen Ungehorsams. Der Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes sagt: „Ich lasse mir das nicht mehr sagen, das geht nicht, sondern wir können das machen.“

Dank an Bashar und Frank vom LAWRENCE in Berlin, Oranienburger Straße. Dort konnten wir das Interview aufzeichnen.

Gäste: 

Hans-Josef Fell: Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes

Hans-Josef Fell warnt vor den katastrophalen Folgen der Erderhitzung. Schon jetzt gäbe es Regionen auf der Welt, selbst in Deutschland, wo eine menschliche Zivilisation, so wie wir sie kennen, nicht mehr möglich sein werde. Das sei schon vor Jahrzehnten bekannt gewesen. Aber es wurde nicht gehandelt. Jetzt müsse man so schnell wie möglich aus den Treibhausgasen aussteigen, spätestens bis 2030, um das 2-Grad-Ziel noch einhalten zu können. Zudem sollte mit einer kohlenstoffsenkenden Land- und Forstwirtschaft die Atmosphäre gereinigt und die Materialwirtschaft mit Wiederverwertung emissionsfrei gemacht werden. Doch die Regierungen subventionieren weiter Kohle, Gas und Öl, während sie die billigeren Erneuerbaren Energien blockieren. „Man lässt nicht einmal mehr der Ökonomie freien Lauf.“ Mit einer Technikrevolution seien heute Null-Emissionen in kurzer Zeit machbar. „In zehn Jahren haben die Personal Computers die Welt erobert, der Mobilfunk hat zehn Jahre gedauert, es brauchte zehn Jahre, bis die Autos die Pferdekutschen abgelöst haben. Das geht. Die Menschheit hat das oft gemacht.“

100 Prozent Erneuerbare, 100 Prozent biologische Land- und Forstwirtschaft und 100 Prozent emissionsfreie Materialwirtschaft bis 2030 müssten eigentlich als Ziele in die Wahlprogramme. Doch keine der Parteien im Bundestag wird der Herausforderung der Klimakrise gerecht. Auch die Grünen müssten noch überzeugt werden. Klimaschutz ist eine große Chance, sagt Fell, letztlich eine Industrierevolution. So braucht man allein in Deutschland zehn neue Solarfabriken. Das würde die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen und Strom günstiger machen. Um die Dynamik der Energiewende von unten jedoch wieder zu beleben, muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz von den Fesseln befreit werden, die EU-Kommission und Merkel-Regierung ihm angelegt haben. Auch die Speicherung von Strom in Dunkelflauten ist längst kein Problem mehr. Was fehlt ist der politische Wille und entsprechende Gesetzesinnovationen.

Seit Jahrzehnten hat die fossil-atomare Wirtschaft Zweifel an der Machbarkeit der Energiewende verbreitet und die Vorkämpfer*innen für 100 Prozent Erneuerbare diffamiert. Klimaschutz wird bis heute als Belastung für die Ökonomie dargestellt. Aktuelle Studien wie die der Energy Watch Group, die zeigen, dass der Umstieg auf Erneuerbare bis 2030 günstiger als das konventionelle System ist, werden hingegen weiter von den großen Medien ausgeblendet. Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass der Umstieg nicht mit Komfortverzicht verbunden ist. Fell selbst lebt mit seiner Familie seit langem in einem ökologischen Null-Emissions-Haus, unabhängig vom Stromnetz, inklusive Sauna und zwei E-Autos. „Ich habe Luxus mit allen Stromanwendungen. Aber ich mache keine Emissionen, null“. Denn die Energiewende sei zugleich eine Effizienzrevolution, bei der leicht zugänglicher Ökostrom Unmengen an Kohle, Gas und Öl ersetzt. Auch die Behauptung, die Energiewende sei aufgrund begrenzter Ressourcen und Umweltverschmutzung eine ökologische Sackgasse, stimme nicht. Schon heute werden viele Materialien für Solarzellen, Windräder oder Batterien wie Kobalt, Neodym oder Lithium entweder durch andere Stoffe ersetzt, nachhaltiger gefördert oder wiederverwertet. Das sollte weiter vorangetrieben werden, wie in China zu beobachten, während man Ökodumping in den Förderländern verbieten muss.

Forderungen nach 100 Prozent Erneuerbare werden weiter mit Konzepten wie „low-carbon“ oder „Klimaneutralität“ blockiert, während man Gaskraftwerke und 3-Liter-Autos als Lösung propagiert. Auch Kohlenstoffsenken wie Wälder sollten nicht als Ausgleich für Treibhausgase missbraucht werden. Wir benötigen sie „additiv“, sagt Fell. In Form von biologischer Landwirtschaft, Biokohle-Dünger gewonnen aus Klärschlamm oder Bauholz sollten sie in Zukunft eine weit größere Rolle spielen. Auch die Begrünung von ariden Regionen sei bisher eine kaum genutzte Klimaschutzmaßnahme. In der Gobiwüste hat China eine Fläche so groß wie Deutschland begrünt. 300 Millionen Chinesen bauen dort nun auch Gemüse unter einer Gigawatt-Photovoltaikanlage an, die zugleich Schatten spendet und Restfeuchte konserviert. Studien zeigen, dass, wenn man einen Teil der trockenen Regionen der Welt mit Ölpflanzen begrünt, man so viel Pflanzenöl erhält, dass damit das Flugbenzin der Erde ersetzt werden kann. Um die Blockade der Energiewende zu überwinden, brauche es aber weiter Pioniere, die Lösungen vor Ort durchsetzen, Massenproteste und auch zivilen Ungehorsam, den Fell unterstützt. Denn die Klimaschutz-Blockade offenbare bereits Elemente, die man in Unrechtsstaaten findet. Der Mitautor des EEG ist trotz allem hoffnungsvoll: Sein Engagement seit den 70er zeige, dass Veränderung möglich ist. „Ich lasse mir das nicht mehr sagen, das geht nicht, sondern wir können das machen.“