23.05.2014
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Einleitung: 

In seinem neuen Dokumentarfilm „Faschismus AG“ zeigt Aris Chatzistefanou, wie Industrielle und Bankiers in den 20er und 30er Jahren den Faschismus förderten, um sozialistische Bewegungen und Gewerkschaften zu zerschlagen. An den Rändern Europas würde sich heute, in der Krise, dieses Muster wiederholen: In Griechenland wurden rechtsextreme Parteien wie „Goldene Morgenröte“ und LAOS von Teilen der ökonomischen Eliten und der großen Medienkonzerne als „letztes Mittel“ unterstützt. LAOS wurde sogar von der EU ausdrücklich als Teil der nicht gewählten Regierung von Lukas Papadimos willkommen geheißen. In der Ukraine unterstützen währenddessen EU, USA und IWF eine Regierung unter Beteiligung der neonazistischen Swoboda-Partei, um ökonomische und geopolitische Interessen durchzusetzen – ein gefährliches Spiel, das leicht außer Kontrolle geraten könne.

Transkript: 

Fabian Scheidler: Willkommen bei Kontext TV. Mit Griechenland, ist derzeit oft zu hören, ginge es nun wieder aufwärts. Ministerpräsident Samarás sprach von einer „Erfolgsstory“ und Angela Merkel sieht ein „viel optimistischeres Klima“. Die besonders von der deutschen Regierung forcierten Kürzungsprogramme der Troika seien – trotz aller Härten – der einzig richtige Weg gewesen. Doch wie sieht es tatsächlich in Griechenland aus? Kann man angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent wirklich von „Erfolg“ sprechen? Welche Folgen hat die Kürzungspolitik für Gesundheit, Bildung, Arbeitnehmerrechte und die Umwelt? Und in welchem Zusammenhang steht das Erstarken rechtsextremer Parteien mit der europäischen Krisenpolitik? Unser erster Gast ist Aris Chatzistefanou aus Athen. Er ist Journalist und Dokumentarfilm-Regisseur. Seine Filme „Debtocracy“ und „Catastroika“ erreichten ein Millionenpublikum. Nun ist sein neuer Film erschienen: „Die Faschismus AG“.  Willkommen bei Kontext TV, Aris Chatzistefanou.

Aris Chatzistefanou: Danke für die Einladung!

Fabian Scheidler: Erzählen Sie uns über Ihren neuen Film. Worum geht es und warum gerade jetzt dieses Thema?

Aris Chatzistefanou: Fascism Inc. ist in gewisser Weise eine Fortsetzung von Debtocracy und Catastroica, unseren letzten Filmen. Es geht immer darum, Weltpolitik und Weltwirtschaft am Beispiel von Griechenland zu beleuchten, das für uns ein Labor zukünftiger Entwicklungen ist. Unser Motto ist: Was in Griechenland passiert, wird auch anderswo passieren.  Ich befürchte, dass der Anstieg des Rechtsextremismus und Neonationalsozialismus, den wir in den letzten Jahren in Griechenland beobachten konnten, auch andere europäische Länder infizieren wird, in denen die Demokratie durch die Sparmaßnahmen untergraben wurde. Unsere Geschichte beginnt im Deutschland und Italien der 20er und 30er Jahre, wo wir eine Verbindung zwischen dem Aufkommen des Faschismus und den Wirtschaftseliten aufzeigen wollen. Wir betrachten das Beispiel von Groß-industriellen wie der deutschen Krupp-Familie oder der Agnellis, Alfa Romeo oder Pirelli in Italien: Wie sie den Faschismus direkt unterstützt, wie sie mit Hilfe der Schwarzhemden Streiks in ihren Fabriken unterdrückt haben. Dann kommen wir zu Griechenland. Wir sprechen über die deutsche Besetzung, den anschließenden Bürgerkrieg und die Diktatur bis hin zur heutigen Situation. An jedem Punkt finden wir das gleiche Muster: Wenn die Wirtschaftseliten das Vertrauen in das politische Establishment verlieren und sich bedroht fühlen, sind sie sogar bereit mit dem Faschismus zu spielen. Obwohl sie das eigentlich nicht wollen – für sie ist es die letzte Chance, die Zügel in der Hand zu behalten. Und das haben sie wohl auch in Griechenland versucht: Obwohl die Mitglieder der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte jetzt in Haft sind, ist es ihnen gelungen, ihr Programm den Mainstream-Parteien aufzuzwingen. Das ist die eigentliche Gefahr.

Fabian Scheidler: Sie sprachen davon, in den 20er und 30er Jahren hätten Industrie und Banken in Deutschland und Italien den Faschismus gefördert. Inwiefern?

Aris Chatzistefanou: Anfangs haben Sie nur die Banden der Schwarzhemden unterstützt, damit diese Gewerkschaftler und Streikende in den großen Fabriken angreifen. Als sie der Meinung waren, die Politik, die Polizei oder auch die Gerichtsbarkeit könne ihre Rolle nicht mehr erfüllen, waren sie bereit, eine faschistische Machtübernahme zu tolerieren. Ab da sind es aber keine vom Großkapital angeheuerten Banden mehr, denn Faschismus bedeutet immer Massenbewegung. Das ist das Problem, nicht nur für uns, sondern auch für die Wirtschaftseliten, die den Faschismus unterstützen. Der Faschismus lässt sich nicht wie in einem Spiel per Knopfdruck an- und ausschalten. Als Massenbewegung kann er gefährliche Folgen haben. Das ist in Italien und Deutschland passiert und auch Griechenland war nah dran. Man bedenke, dass die Goldene Morgenröte bei den letzten Wahlen ca. 7% erhalten hat und dass auch nach dem Mord an einem Rapper die ersten Umfragewerte bei 7-10 % lagen. Daran merkt man, dass es Züge einer Massenbewegung angenommen hat. Die Leute wissen, dass es eine Nazi-Partei ist, dass es Mörder sind, und trotzdem stimmen sie dafür, weil es in ihren Augen keine andere Alternative gibt. Wir beobachten, dass Eliten aus Politik und Wirtschaft die ersten Stadien des Faschismus unterstützen und danach die Kontrolle verlieren. Diesen heiklen Übergang erleben wir in ganz Europa, nicht nur in Griechenland.

Fabian Scheidler: Welche Rolle spielt die europäische Krisen- und Sparpolitik für den Auftrieb des Faschismus insbesondere in Griechenland?

Aris Chatzistefanou: Der Faschismus profitiert immer von Krisen, nicht nur wegen der Armut, sondern auch wenn linke Parteien keine konkreten Antworten auf die Krise haben. Genau das war in Griechenland der Fall. Die griechische Linke konnte die Krise zwar vorhersagen und korrekt analysieren, doch auf die Frage: „Was tun?“, gab es keine starke Stimme der Linken mit klaren Vorschlägen. Wittgenstein hat gesagt, Faschismus ist immer eine gescheiterte Revolution. Leider haben wir mit der Krise auch in Griechenland eine Revolution verloren. Aber es kommt nicht alles von unten, sondern auch von der Europäischen Union. Schließlich wollte diese ja vor ein paar Jahren eine Diktatur einführen. Ich nenne es Diktatur, diese Technokratenregierung unter Loukas Papadimos, der ein Bankier war und kein gewählter Premierminister. Die EU kam und forderte eine große Koalition mit der Partei LA O.S., einer Rechtsaußen-Partei, deren Mitglieder Freunde der Diktatur sind und teilweise auch Neonazis. Obwohl es Antisemiten sind, hatte die EU keinerlei Skrupel, diese Partei an die Macht zu bringen, um ihre Wirtschaftspolitik durchzusetzen und Großbanken in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern der europäischen Mitte zu retten. Damit öffnete sie den griechischen Neonazis indirekt die Tür und ich fürchte das gleiche findet in der Ukraine oder sogar in Norwegen statt. In diesen Ländern spielen Parteien der äußeren Rechten mittlerweile eine große Rolle in der Regierung. Oder auch Italien mit Gianfranco Fini. Er war jahrelang Mitglied der Regierung Berlusconi und den Europäern war das durchaus recht. Also ist auch Brüssel Teil des Problems.

Fabian Scheidler: Sie erwähnten die Ukraine. Faschistische Parteien erleben dort einen besorgniserregenden Zulauf. Die EU und die USA arbeiten eng mit der Regierung in Kiew zusammen, in der die rechtsextreme, ja sogar Neonazi-Partei Svoboda eine große Rolle spielt. Wie bewerten Sie den europäischen und westlichen Umgang mit der Ukraine-Krise und sehen Sie Parallelen zu Griechenland?

Aris Chatzistefanou: Es gibt viele Parallelen zu Griechenland, angefangen beim zweiten Weltkrieg. Vergessen wir nicht, dass viele in der Ukraine mit den Nazis kollaboriert haben und nach dem Sieg der Sowjetunion sind diese Ultrafaschisten in die USA und Canada ausgewandert, um dort die Geschichte neu zu schreiben.  Sie haben versucht, ihre Zusammenarbeit mit den Nazis zu rechtfertigen. Etwas Ähnliches gab es in Griechenland in den 90ern, als man an den Universitäten bemüht war, Ausreden für die Kollaborateure zu finden. Übrigens war Griechenland das einzige Land, in dem die Kollaborateure den zweiten Weltkrieg quasi gewonnen haben. Sie waren keine Verlierer und wurden auch nicht bestraft, sondern stellten im Gegenteil durch den Bürgerkrieg den Staatsapparat und wurden zu Wirtschaftseliten. In der Ukraine hat es etwas länger gedauert, doch diese Menschen, diese Theorien sind nach der Orangen Revolution zurückgekommen. Die EU und die USA waren maßgeblich daran beteiligt, Parteien wie der Svoboda zu Akzeptanz zu verhelfen, die ja vor wenigen Jahren noch als nationalsozialistische Partei galt. Es war ihr offizieller Name und sie versuchen das auch nicht zu verheimlichen. Sie akzeptieren rechte Parteien und Neonazis in der Regierung, um ihre Spiele zu spielen – nicht nur das geostrategische Spiel gegen Russland, sondern auch das wirtschaftliche Spiel. Wir sehen ja, dass auch in der Ukraine der IWF den Menschen seine Regeln aufdrückt. Er gewährt Kredite und kontrolliert dafür die Regierung. Und wieder und wieder werden die Neonazis zum Werkzeug der Wirtschaftseliten. In Griechenland zum Beispiel vertreten die Neonazis eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Als Parlamentarier haben sie die Reeder unterstützt, die Privatisierung und was immer die Regierung und die Neoliberalen Hardliner in Griechenland wollten. Ich glaube in der Ukraine ist das nicht anders. Es geht also nicht nur um Politik oder Geschichte. „It’s the economy, stupid!“ , wie man in den USA zu sagen pflegte.