19.05.2011
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Einleitung: 

Ende März hat die EU-Gipfelkonferenz den sogenannten Euro-Plus-Pakt verabschiedet, der besonders von Gewerkschaften massiv kritisiert wurde. Auch Heiner Flassbeck sieht in dem Pakt keine Lösung des Problems sondern eine Verschärfung. Anstatt einen unsinnigen Wettbewerb aller gegen alle auszurufen, solle man das Zocken auf den Finanzmärkten verbieten. Auch einen "Haircut", also den Teilverzicht der Gläubiger bei einer Umschuldung, sowie einen "Süd-Euro" hält Flassbeck für einen falschen Weg. Vielmehr müsse die Wettbewerbslücke zwischen Deutschland und den anderen Euro-Staaten geschlossen werden.

Gäste: 

Heiner Flassbeck: Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf

Transkript: 

David Goeßmann: Vor einigen Wochen hat die EU-Gipfelkonferenz den sogenannten Euro-Plus-Pakt verabschiedet, der besonders von Gewerkschaften massiv kritisiert wurde, weil darin eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts vorgesehen ist, darunter eine Lockerung des Kündigungsschutzes. Was enthält dieser Pakt und was bedeutet er für die Zukunft Europas?

Heiner Flassbeck: Ja, dieser Pakt ist sozusagen die deutsche Lösung für das Problem, aber es ist die falsche Lösung, weil die Lösung ist jetzt: alle sollen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, ich sagte schon, Wettbewerbsfähigkeit ist ein relatives Konzept; das ist einfach unlogisch, wenn man sagt, alle sollen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, wenn man nicht sagt, wogegen. Also machen jetzt alle das, was Deutsche gemacht haben in den letzten zehn Jahren, alle schnallen den Gürtel enger, alle versuchen, ihre Gewerkschaften zu malträtieren, damit die keine Lohnerhöhungen mehr fordern können, was völlig unsinnig ist, darum geht’s gar nicht. Es wäre darum gegangen, dass vor allem in Deutschland die Löhne wieder stärker steigen. Das ist der wichtigere und größere Schritt als die Lohnkürzungen in anderen Ländern, aber nein, man hat darauf bestanden: Deutschland hat nichts falsch gemacht, wir haben alles richtig gemacht und deswegen müssen die Anderen jetzt machen, was Deutschland vorher gemacht hat; und das ist der Weg in die Deflation.

Fabian Scheidler: Bisher sind Banken an den Kosten der Rettungsaktion sowohl in der Finanzkrise 2008-2009, als auch bei den Rettungsschirmen für den Euro, praktisch nicht beteiligt worden, obwohl  sie für die Krise wesentlich mitverantwortlich sind. Viele rufen daher nach einer Beteiligung der Gläubiger an den Rettungskosten, zum Beispiel durch einen sogenannten Haircut, also einen Verzicht der Banken auf einen Teil ihrer Forderungen. Manche fordern auch eine geordnete Insolvenz im Rahmen eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens,  wie es für überschuldete Staaten des Südens schon lange gefordert wird. Was ist ihre Position dazu?

Heiner Flassbeck: Aber die Staaten sind, ich sagte schon, die Staaten sind ja nicht das Problem, damit tut man wieder so, als seien die Staaten vor allem das Problem. Die Staaten sind nicht das Problem, Banken sind das Problem, und das hat man immer noch nicht in den Griff bekommen. Man hat nicht richtig die Banken reguliert in einer Weise, dass sie mit dieser Zockerei aufhören, sondern sie zocken weiter, alle Casinos sind offen, an den Rohstoffmärkten, an den Währungsmärkten, an den Aktienmärkten; überall sind die Casinos offen, die Preise sind wieder hochgetrieben, früher oder später wird es kollabieren. Dann stehen die Banken wieder genauso schlecht da wie vorher. Das hätte man ändern müssen, da hätte man eingreifen müssen, indem man wie gesagt klar macht, dass Zocken keine vom Staat genehmigte Aktivität von Banken ist, das heißt, die Investmentbanker hätten rausgemusst aus diesen Banken und die Bank hätte zurückgeführt gehört, so wie das Obama auch vorhatte, aber auch nicht ganz durchgesetzt hat, die Banken hätte man zurückführen müssen auf normales Banking, also auf normale Kreditvergabe für normale Investoren. Aber nicht für Zocken in den Casinos. Und das hat man massiv versäumt und nun ist es aber keine Lösung zu sagen, die Staaten, die die Banken gerettet haben, die müssen wir jetzt für Bankrott erklären um die Gläubiger zu treffen. Die Gläubiger der Staatsanleihen sind zwar zum erheblichen Teil Banken, aber man muss sehen: viele Produkte, die die Banken anbieten für den normalen Bürger basieren auf Staatsanleihen, wenn ich also bei den Staatsanleihen den berühmten Haircut mache, dann werden auch viele Bürger unmittelbar betroffen und dann kriegen wir wieder neue Probleme im Bankensystem. Das ist der falsche Weg und im Übrigen haben Banken und wer auch immer Staatsanleihen bis zum Jahr 2008 gekauft, hat ja keineswegs übermäßige Zinsen erzielt, der Ertrag auf eine griechische zehnjährige Staatsanleihe war bis 2008 bei 4 Prozent, die war völlig normal, völlig im Rahmen. Und da muss man niemand bestrafen dafür, dass er über lange Frist eine griechische Staatsanleihe hält, das ist der vollkommen falsche Weg. Aber Sie sehen, dieser Weg wird in der Öffentlichkeit propagiert von interessierten Kreisen, die dann die Schuld sozusagen wieder allein den Staaten zuschieben können.

David Goeßmann: Auch der Austritt südeuropäischer Länder aus dem Euro und die Schaffung eines schwachen Südeuros wird teilweise als Lösung diskutiert, sehen Sie das als Lösung?

Heiner Flassbeck: Naja, das ist keine Lösung, aber das ist, wenn der Druck im Kessel zu groß wird und der Kessel irgendwann explodiert, dann ist das das, was rauskommt, nämlich dass die Länder aus der Eurozone aussteigen, welche Länder auch immer, Deutschland kann auch aussteigen, die Folge wird ganz klar sein, die man auch abwenden kann, ich sagte es, über einen langfristigen Mechanismus bei den Löhnen, die Folge würde dann sein, dass diese Länder über Nacht sozusagen ihre Neuerungen abwerten gegenüber dem Nordeuro oder der neuen D-Mark oder wie auch immer man das nennt; und dann wären die deutschen Exportmärkte sowieso futsch, die wären dann über Nacht futsch, die sind nicht zu halten, es gibt nur die Frage, ob man es durch einen geordneten Übergang macht, oder ob man es durch eine Explosion zustande kommen lässt. Der Euro hat nur dann eine Chance, wenn man diese Wettbewerbslücke zwischen Deutschland und den anderen Ländern, das ist übrigens nicht nur Südeuropa, da gehört auch Frankreich dazu, auch Frankreich hat eine Lücke von 15 Prozent gegenüber Deutschland. Wenn man diese Lücke systematisch beseitigt und bereinigt und nicht solche komischen Wege geht, wie sie jetzt gegangen werden.