02.12.2016
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Einleitung: 

Zu dem komplexen Krieg in Syrien gebe es nur eine einzige Alternative: Diplomatie. Doch die werde von den geopolitischen Interessen und Rüstungslobbys, von den USA und Russland blockiert. Der Krieg sei in Wahrheit ein „Killer-Geschäft“. Verhandlungen seien eine Farce, solange Waffen in die Region geliefert und das Land bombardiert würden, sagt Phyllis Bennis. Die USA und ihre Verbündeten seien mitverantwortlich für das Chaos in Syrien. Von Afghanistan bis zur „Befreiung Mossuls“ erstrecke sich das blutige Panorama einer gescheiterten US-Außenpolitik. Dass der Westen Menschen „befreie“, sei schlicht eine Lüge.

Gäste: 

Phyllis Bennis, Institute for Policy Studies, Washington D.C.

Der Krieg in Syrien sei kompliziert, so Bennis. Er bestehe „aus mindestens zehn bis elf separaten Kriegen, je nachdem, wie man zählt“. Das mache es schwieriger als bei anderen Kriegen, „den Durchblick zu bewahren, die Stimme zu erheben und politischen Druck auf die Regierungen auszuüben, um sie daran zu hindern, weiter Truppen für ‚ihrer Seite‘ zu mobilisieren und die Diplomatie zu vernachlässigen, während die ganze Aufmerksamkeit und das Geld aufs Militär gelenkt wird!“ Der IS sei in den Foltergefängnissen der USA im Irak gezeugt worden. Entlassene sunnitische Generäle hätten sich aus Wut über die US-Besatzung mit islamistischen Gruppen zusammen getan. „Der IS bot ihnen einen Weg, sich zu wehren.“ Die Terrororganisation bestehe zwar nur aus ein paar tausend Kämpfern und sei mit einfachen Waffen ausgestattet. Sie genieße aber in der Region viel Unterstützung. Das mache ihre Stärke aus.

Der Krieg beinhaltet eine ganze Reihe regionaler und globaler Stellvertreterkriege, die sich auf beide Lager des syrischen Bürgerkrieges schlagen. „Aber wir sollten uns keine Illusionen machen, dass die USA die syrischen Rebellen im Kampf gegen das Regime unterstützen, weil sie besorgt sind wegen der Menschenrechtsverletzungen von Assad“, sagt Bennis. Die USA hätten sich immer auf die Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes verlassen können, wie bei den Folterverhören im Krieg gegen den Terror. Russland sei demgegenüber besorgt um seinen einzigen verbliebenen Partner in der Region und den Militärstützpunkt im syrischen Tartus. Im Moment fänden die schlimmsten Kriegsverbrechen in Aleppo durch russische und syrische Bombardierungen statt. Davor seien es die USA gewesen. „Jeder in diesem Krieg hat Verbrechen begangen.“ Die Kämpfe verhinderten die einzige Alternative: „Diplomatie“. Niemand könne den Krieg jedoch „gewinnen“. Die Militarisierung des Konflikts mache das unmöglich. Auch der syrische Widerstand werde aus dem Krieg nicht das erhalten, „was ihm eigentlich zusteht“.

Solange die einflussreichen Staaten USA, Russland oder Deutschland weiter Waffen an ihre Verbündeten in der Region liefern, werde es nichts bringen, wenn die „Vertreter der kriegsschürenden Staaten in schönen Anzügen an einem Tisch sitzen und sich unterhalten. (…) Wenn es heißt: ‚Wir alle wollen diesen Krieg beenden‘ ist das schlicht eine Lüge. Diejenigen, die den Krieg wollen, profitieren auch von ihm. Es sind die Waffenhersteller und Militärfirmen. Für sie ist der Krieg in jeder Hinsicht ein ‚Killer-Geschäft‘.“ Jetzt würden die gegen Syrien verhängten Sanktionen erneut die Schwächsten und nicht das Regime treffen. Man habe keine Lehren aus dem Irak gezogen, wo der Boykott in den 90er Jahren verantwortlich war für den Tod von 500.000 Kindern unter fünf Jahren.

Die vom Krieg heimgesuchten Länder, von Afghanistan, Irak, Jemen, Somalia bis Libyen, seien das „Vermächtnis der gescheiterten US-Außenpolitik. Diese Politik, die Amerikaner vor Terrorismus beschützen und Demokratie in die Region bringen sollte, hat genau das Gegenteil erreicht.“ So seien 15 Jahre nach 9/11 immer noch zehntausende amerikanische Soldaten und Söldner in Afghanistan. Es sei weiter das Land, in dem es um die Gesundheit von Kindern und die Müttersterblichkeitsrate am schlimmsten bzw. am zweitschlimmsten bestellt ist. Die UN habe jetzt sogar herausgefunden, dass 42 % der Kinder dort niemals eine Schule besuchten hätten oder sie vor der 5. Klasse abgebrechen würden. Die Bush-Administration habe 2001 aus einem Verbrechen einen Kriegsakt gemacht und Afghanistan überfallen, obwohl das Land nicht an den Anschlägen beteiligt gewesen sei. Jetzt werde von einer „Offensive gegen Mossul“ gesprochen. Doch in einer Umfrage sagten 84 % der Einwohner der Stadt, dass sie sich gar nicht befreien lassen wollen, sondern Angst davor hätten. „Die Vorstellung, dass die USA Menschen ‚befreien‘ ist schlicht falsch. Es ist eine Lüge.“

Es gäbe eine klare Verbindung von zumindest untergeordneten Amtsträgern in Saudi-Arabien und den Anschlägen von 9/11. Das sei nicht neu. Neu sei jedoch die Haltung des US-Kongress, so Bennis. Durch Druck von Kriegsgegnern hat der Kongress ein Gesetz erlassen, und damit ein Veto von Präsident Obama überstimmt, wodurch US-Bürger, die Angehörige bei 9/11 verloren haben, Saudi-Arabien verklagen können, um Informationen über deren Beteiligung zu erhalten. „Das ist eine gewaltige Verschiebung in der US-Politik.“ Auch beim neuesten Waffen-Deal mit Saudi-Arabien gab es enormen Widerstand von Abgeordneten, der größer war als jemals zuvor. Man wisse heute, dass große Teile der Gelder für den IS aus Saudi-Arabien stammten. Woher genau sie kämen, könne noch nicht gesagt werden. Aber die Golfmonarchie hätte die Möglichkeit, den Geldfluss zu stoppen. Aber das wolle die Führung offensichtlich nicht.

Stabilität kann nur von innen kommen, so Bennis. Die Maxime müsse sein: Schade niemandem. Aber die Waffenlobby in den USA sei eine der einflussreichsten. Es sei daher keine leichte Aufgabe, Waffenlieferungen und Bombardierungen im Nahen Osten zu stoppen. Eine diplomatische Lösung sei dringend nötig. Das zeige die derzeitige Flüchtlingskrise. 65 Millionen Menschen, viele Syrer darunter, seien auf der Flucht. Eine „globale Flüchtlingsnation“ sei entstanden, die sogar mit eigenem Team bei der letzten Olympiade antrat. „Das ist ein deutliches Signal, etwas dagegen zu unternehmen.“ Die USA gewährten letztes Jahr nur 10.000 Syrern Schutz. „Eine Schande! Meine Regierung sollte sich schämen“. In den USA fand vielmehr eine Rassismuskrise statt. Europa bekam etwas von der Flüchtlingskrise zu spüren. Aber auch dort gab es eine rassistische Reaktion. „Das Resultat sind neue Grenzkontrollen, Grenzzäune, Grenzpolizei und Aufrüstung. Die Angst um die Einheit Europas ist nun sehr real.“ Hoffnung gebe allerdings der arabische Frühling, der zwar keine Revolution gewesen sei, aber einen revolutionären Prozess in Gang gesetzt habe. Eine ganze Generation habe gesagt: „Es reicht. Das ist ein mächtiges Signal“.