25.10.2013
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Deutschland spiele eine zentrale Rolle in den US-Militäroperationen seit dem 11. September und sei ein wesentlicher Helfer, der das US-Tötungsprogramm erst möglich mache, sagt Jeremy Scahill. Vom US Afrika Kommando „AFRICOM“ in Stuttgart würden viele Operationen des Joint Special Operation Command, der geheimen militärischen Eliteeinheiten der USA, geplant. Weltweit hätten mehr als 70 Staaten Zugang zu bewaffneter Drohnentechnologie, auch Deutschland strebe danach. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis diese Drohnen zur Anwendung kämen. Das US Militär habe seine Ausrüstung zudem an die Polizei weiter gegeben. Auch in Europa und Deutschland werden in den nächsten Jahren nach Ansicht Scahills Drohnen für staatliche Überwachungszwecke eingesetzt werden. Strafverfolgung werde so zunehmend als paramilitärische Operation durchgeführt.

Gäste: 

Jeremy Scahill, Korrespondent beim US-Nachrichtenmagazin "The Nation". Autor von “Dirty Wars” / “Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ und "Blackwater: Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt“

Transkript: 

David Goeßmann: Willkommen bei Kontext TV. Unser Gast in Berlin ist heute Jeremy Scahill. Scahill ist Korrespondent für Nationale Sicherheit beim US-Nachrichtenmagazin „The Nation“. Bekannt geworden ist er durch seinen Bestseller „Blackwater. Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt“. Sein neues Buch “Dirty Wars. The World is a Battlefield” ist gerade auf Deutsch erschienen mit dem Titel: “Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“. Im Juni haben wir aus den USA bereits über das Buch berichtet. Wir freuen uns, Scahill heute wieder begrüßen zu dürfen. Welcome to Kontext TV Jeremy Scahill. It’s great to have you again.

Jeremy Scahill: Ich freue mich.

David Goeßmann: In Ihrem Buch “Schmutzige Kriege” beschreiben Sie das Tötungsprogramm der USA seit dem 11. September. Welche Rolle spielt Europa dabei. Wir wissen zum Beispiel, dass die deutsche Bundeswehr den amerikanischen Spezialeinheiten JSOC Zielinformationen und Infrastruktur bereitstellt. Wir wissen bisher nicht, ob auch die deutschen Eliteeinheiten KSK sogenannte Tötungsoperationen durchführen. Zudem: Die Zentrale von AfriCom befindet sich in Stuttgart. Von dort wird der US-Drohnenkrieg in Afrika und darüber hinaus koordiniert. Wie schätzen Sie die Verantwortung Europas und insbesondere Deutschlands für die schmutzigen Kriege ein?

Jeremy Scahill: Deutschland spielt eine zentrale Rolle in den US-Militäroperationen seit dem 11. September und ganz sicher auch unter Präsident Obama. Im Moment weitet Obama die verdeckten Operationen auf dem afrikanischen Kontinent aus. Die USA verüben regelmäßig Anschläge in Somalia, sie verschärfen die Militärpräsenz in Nord- und Westafrika, kürzlich in Mali und Mauretanien. Und in Stuttgart befindet sich nicht nur die Zentrale des US Afrika Kommandos „AFRICOM“, sondern auch viele Operationen des Joint Special Operation Command, eine geheime militärische Eliteeinheit, werden von dort aus geplant. Der US-Befehlshaber der Spezialkräfte Europas ist dort stationiert. Dies ist eine sehr bedeutende Stelle in der Welt der Geheimoperationen. Deutschland ist also ein wesentlicher Helfer, der die geheimen US-Militäroperationen erst möglich macht. Nicht nur wegen der massiven Präsenz des US Militärs in Deutschland, sondern auch wegen der spezifischen Natur dieser Operationen, die auf deutschem Boden vom US Militär geplant werden.

David Goeßmann: Europäische Staaten insbesondere Frankreich und Deutschland wollen sich bewaffnete Drohnen beschaffen. Deutschland setzt bereits Überwachungsdrohnen in Afghanistan ein. Es scheint, als ob neben den USA  auch weitere Natostaaten in den Drohnenkrieg einsteigen möchten. Was denken Sie darüber?

Jeremy Scahill: Es gibt weltweit mehr als 70 Länder, die Zugang zu bewaffneter Drohnentechnologie haben. Es ist nur eine Frage der Zeit ist, bis andere Staaten anfangen, diese Drohnen zu nutzen. Das könnte Russland, China oder Frankreich sein. Frankreich ist zurzeit damit beschäftigt, seine eigenen Militäraktionen zu verschärfen, vor allem in Afrika. Wir werden in Zukunft zudem einen Trend zur paramilitärischen Strafverfolgung beobachten, der in den USA begonnen hat. Ich denke, dass in einigen europäischen Staaten zuerst unbewaffnete Drohnen auftauchen und zur Überwachung, bei der Verfolgung von Schmugglern oder im Drogenhandel verwendet werden, oder auch um Verbrechen im Land aufzuklären. Das findet in den U.S.A. bereits statt. Zudem kann man feststellen, dass mit dem Rückzug der U.S.A. und Europas aus Afghanistan das U.S. Militär seine Ausrüstung an die Polizei weiter gibt. Auf diese Weise werden die Kriege ins eigene Land geholt. Die Gesellschaft wird so, in einer Zeit wachsender staatlicher Überwachung, massiv militarisiert. Drohnen müssen daher in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Sie zeigen, dass viele Länder Amerikas Führung folgen und Strafverfolgung als paramilitärische Operation betrachten. Gleichzeitig beschaffen sich Regierungen mit Drohnen Waffen, die den weltweiten Einsatz eigener Soldaten nicht mehr erfordern, um militärische Schläge auszuführen.

David Goeßmann: Was bedeutet das langfristig?

Jeremy Scahill: Was politische Führer oder Staatsoberhäupter daran hindert, Kriege zu beginnen, ist die Opposition in der Bevölkerung, die sagt: “Wir wollen nicht an Kriegen teilnehmen. Wir wollen das Leben von jungen Männern und Frauen nicht aufs Spiel setzen.” Politisch wird es durch Drohnen leichter für Regierungen zu behaupten, die Interessen der Nation zu verteidigen, ohne dabei das Leben der eigenen Soldaten zu gefährden. Außerdem behaupten sie, dass Drohnenkrieg sauberer sei, weil deren Explosionsradius begrenzter sind. Es ist nicht so, dass ich von der Technologie besessen bin, denn schlussendlich sind Drohnen eine Waffe. Entscheidend ist vielmehr die Politik dahinter, die die Verwendung von Drohnen nötig macht, was beim weltweiten Tötungsprogramm der U.S.A der Fall ist. Die Regierung glaubt das Recht zu haben, jeden zum Ziel zu erklären, der im Geheimen zum Terroristen erklärt wurde oder den man für gefährlich hält.