19.05.2021

In Nahost nichts Neues?

Von: David Goeßmann

(Gaza-Kinderzeichnung im Rahmen eines Kunsttherapieprogramms)

2008, 2012, 2014, 2018 nun 2021: Man kann die Uhr danach stellen. Wenn das israelische Militär den Gazastreifen mit zwei Millionen Einwohnern, eines der dichtesten besiedelten Gebiete der Welt und de facto ein Freiluftgefängnis, wieder einmal militärisch attackiert und bombardiert, werden die altbekannten Slogans hervorgeholt. „Die Gewalt nimmt nicht ab“, „Israel: Schon 3150 Raketen aus Gaza abgefeuert“, „Chronologie eines schier endlosen Konflikts“ oder „CDU-Chef Armin Laschet: ‚Wir verurteilen die antisemitische Hetze auf deutschen Straßen aufs Schärfste‘“. Mit jedem Jahr der Besatzungspolitik, des langsamen Landraubs und weiterer Entrechtung der Palästinenser wirken solche Schlagzeilen hohler. Ihre eigentliche Bedeutung liegt auch nicht in dem, was sie sagen, sondern in dem, was sie nicht sagen.

So begann die aktuelle Gewalteskalation keineswegs mit Hamas-Raketen. Der Konflikt verschärfte sich vielmehr mit drohenden Zwangsräumungen von Palästinensern im Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah, um die Wohnungen israelischen Siedlern zu geben. Die Lage eskalierte dann mit gewaltsamen Übergriffen des israelischen Militärs auf die Al-Aqsa Moschee, einer der heiligsten Stätten der muslimischen Welt, während der Hochphase des Fastenmonats Ramadan. Polizeikräfte und die israelische Armee beschossen dort tausende Gläubige während des Gebets mit Tränengas und Gummigeschossen und trieben sie vom Gebetsort fort. Immer wieder, über mehrere Tage, in Wellen. Tausend Palästinenser wurden verletzt, sechs Betende verloren ihr Augenlicht. Das Damaskustor in Jerusalem wurde zudem abgeriegelt, auf dem sich Muslime zu dieser Zeit zum Gebet zusammenfinden. Ultra-nationale Juden zogen gleichzeitig durch die Stadt unter Polizeischutz, um den Jahrestag der Eroberung von ganz Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 zu feiern. In israelischen Städten und im Westjordanland kam es zu Protesten gegen die Repressionen und Gewalt, die Sicherheitskräfte ging hart dagegen vor.

Die regierende Hamas in Gaza forderte daraufhin ein Ende der polizeilichen Besetzung von Moschee und Siedlung und setzte der Netanjahu-Regierung ein Ultimatum, doch die machte weiter. Schließlich flogen erste Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel. Das israelische Militär bombardierte daraufhin Gaza, zerstörte Wohnhäuser, Krankenhäuser, die einzige Coronastation, ein Flüchtlingscamp, Infrastruktur, darunter die Stromversorgung, Hochhäuser, in denen unter anderem internationale Medien untergebracht sind. Seitdem fliehen Zehntausende verängstigte Gaza-Bewohner mit ihren Familien auch in UN-Schulen auf der Suche nach Schutz, darunter viele Kinder, Frauen und Flüchtlinge. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medizin wird knapp. Die Konsequenz sind weitere Raketen aus Gaza.

Die israelische Regierung lehnt bis heute einen Waffenstillstand ab. Die USA blockieren eine Reihe von UN-Resolutionen im Sicherheitsrat. Die Biden-Regierung wie EU und Deutschland stellen sich hinter das „Selbstverteidigungsrecht Israels“ und geben der israelischen Regierung damit die de-facto-Erlaubnis, Gaza ungestraft weiter zu bombardieren. Die Hamas-Raketen werden zugleich als Kriegsverbrechen verurteilt, die militärischen Gewaltakte Israels nicht. Die Zwischenbilanz der „Gewalteskalation“: 213 tote Palästinenser in Gaza (darunter 61 Kinder, 36 Frauen sowie der einzige Neurologe in Gaza), 25 Tote im Westjordanland, 1400 zum Teil schwer Verletzte in Gaza und 3000 Verletzte im Westjordanland, starke Zerstörungen überall im Gazastreifen. Dagegen stehen zehn Tote Israelis durch Hamas-Raketen, darunter zwei Kinder und ein Soldat, kleinere Schäden an israelischen Häusern.

Sicherlich, die Hamas-Reaktion ist kriminell und zu verurteilen. Aber sie findet nicht in einem luftleeren Raum statt. Die Raketen sind vielmehr eine fast logische Reaktion auf die israelischen Provokationen. Die Behörden und die Regierung unter Benjamin Netanjahu haben alles getan, um Gewalt auszulösen und zu befeuern, um einen Vorwand für die Bombardierungen von Gaza zu erhalten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Al-Aqsa-Moschee für Provokationsakte genutzt wurde. Im Jahr 2000 besuchte der Oppositionspolitiker Ariel Scharon mit bewaffneten Sicherheitskräften die Tempelanlage und löste damit die zweite Intifada aus. Die Journalistin Amira Hass von der israelischen Zeitung Haaretz und Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies in Washington D.C. weisen darauf hin, dass die aktuellen Provokation von politischen, strategischen und ökonomischen Motiven gespeist werden. So stehen Wahlen in Israel an und Netanjahu könnte, falls er verliert, im Gefängnis landen. Als Premierminister genießt er jedoch Immunität, solange kann ihm der laufende Strafprozess wegen Korruptionsvorwürfen nichts anhaben. Mit den Militärschlägen gegen die Hamas kann Netanjahu sich nun als Schutzpatron gegen die äußeren Feinde Israels positionieren und die patriotische Stimmung politisch für sich instrumentalisieren.

Es gibt auch einen strategischen Nutzen der Militärschläge. Denn Gaza ist seit 2007 weiter durch Israel besetzt und auf „Diät gesetzt“, wie ein israelischer Militäroffizieller es einmal nannte. Von Zeit zu Zeit muss, wie das einflussreiche Begin-Sadat Center for Strategic Studies es ausdrückt, daher das „Gras in Gaza gemäht“ werden, sprich die Bewohner unter der Hamas bestraft und die militärischen Möglichkeiten dezimiert werden, um wieder für Ruhe zu sorgen. Das war auch der Fall während der friedlichen Proteste 2018, als gar keine Raketen von der Hamas abgefeuert wurden. Das israelische Militär reagierte trotzdem mit militärischer Gewalt. Zudem, so Bennis, bieten die Militärangriffe auf Gaza immer wieder ein Testgelände für israelische Waffenhersteller, deren Exporte mit 7,2 Milliarden Dollar 2019 einen Großteil von Israels BIP ausmachen.

Die Muster, mit denen Israels Provokationen und Gaza-Bombardierungen in der westlichen Öffentlichkeit gerechtfertigt werden, sind allzu bekannt und keineswegs neu. Ich habe sie 2014 und 2018 hier, hier und hier ausführlicher analysiert. Auch diesmal wird der israelischen Regierung als Besatzungsmacht wieder pauschal das Recht auf militärische Selbstverteidigung zugestanden gegenüber der von ihr kontrollierten Bevölkerung, während dieselbe Regierung die Gewalt bewusst provozierte und friedliche Mittel zur Beruhigung der Lage ausschlägt. Palästinensern wird demgegenüber jegliches Recht auf Selbstverteidigung aberkannt, auch wenn der militärische Vorschlaghammer Israels auf sie niedergeht. Der historische Kontext des Konflikts wird ausgeblendet oder zur Randnotiz degradiert: Das Besatzungsregime und die Apartheidpolitik. Den Palästinensern wird seit Jahrzehnten ihr international verbrieftes Recht auf nationale Selbstbestimmung, auf einen eigenen, lebensfähigen Staat von Israel verwehrt. Wen kümmert das? Was wird dagegen getan?

Die ökonomischen, politischen und sozialen Effekte der Besatzung, die dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen, bezeichnet die Nahostforscherin Sara Roy gegenüber Kontext TV schon vor Jahren als ein „himmelschreiendes Verbrechen“ und Ausfluss „krimineller Unterdrückung“. Sie nennt das israelische Besatzungsregime ein „Verbrechen gegen ein Volk“, eingesperrt in einen kaum mehr lebensfähigen Gazastreifen und 200 winzige Enklaven im Westjordanland, kontrolliert vom israelischen Militär mit 600 Checkpoints. Und sie fügt hinzu: Wer Unrecht nicht anspricht, wird zum Mittäter – das hätten ihre Eltern, Überlebende der Tötungslager in Auschwitz und Kulmhof, sie gelehrt. Die Lage für die Palästinenser hat sich zudem in den letzten Jahren verschärft, der Gaza-Streifen befindet sich am Rand des Kollapses. Das Wasser dort ist kaum mehr trinkbar. Die tagtäglichen Demütigungen, der schleichende Landraub, die verschiedenen Formen der sozialen, ökonomischen und physischen Gewalt, die es Palästinenser unmöglich machen, ein normales Leben zu leben und Hoffnung auf Besserung zu hegen, werden Jahr um Jahr unerträglicher und sind permanente Quelle von Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit. Aber es wird weggeschaut, wieder einmal, ein Konflikt mit zwei ebenbürtigen Streithähnen inszeniert und auf die Sicherheitsinteressen Israels fokussiert.

Auch die endlosen Rufe nach der Zweistaatenlösung sind nicht neu. Sie sind jedoch ein Feigenblatt, wenn man nicht erklärt, wer die Lösung blockiert. Denn seit den 1970er Jahren wird ein Palästinenserstaat einseitig von Israel und den USA verhindert (Europa schaut dabei von der Seitenlinie zu), trotz aller Verhandlungen von Camp David bis Annapolis, während Teile des Westjordanlands, rund 10 Prozent, bereits faktisch von Israel gegen Völkerrecht mit Siedlungen und Mauern annektiert worden sind. Israel strebt zudem an, Ostjerusalem und sein Umland demographisch zu säubern. Der Stadtteil Sheikh Jarrah mit 500 palästinensischen Familien, die dort leben, ist nur eines von vielen Beispielen, Palästinenser aus Jerusalem und anderen Städten zu drängen. Ungeachtet des internationales Rechts und Ermahnungen der internationalen Gemeinschaft: Die Regierungen in den USA und der Europäischen Union halten unbeirrt an ihrem Kurs fest. Sie lassen die Palästinenser seit Jahrzehnten mit ihrem Elend allein und krümmen keinen Finger, um Israel in die Schranken zu weisen.

Die USA schließlich sind kein neutraler Vermittler im Konflikt, sondern Partei mit geopolitischen Interessen in der Region. Washington unterstützt Israel seit dem Sechstagekrieg von 1967 bedingungslos als Bündnispartner mit heute jährlich rund vier Milliarden Dollar an militärischer Hilfe sowie politischer und diplomatischer Rückendeckung. Trotz israelischem Besatzungsregime, Apartheidsystem, Siedlungspolitik und Militärschlägen gemäß der politischen Leitlinie: „Expansion geht vor Sicherheit“. Und wenn man sich über das Verbrennen einer Israelflagge bei Demonstrationen und Proteste vor Synagogen in Deutschland empört, dann sollte man sich fragen, woher diese Wut kommt und die legitimen Wutursachen adressieren. Zugleich sollte man sich ebenso empören, wenn jüdische Mobs und Siedler in Israel AraberInnen jagen, palästinensische Geschäfte verwüsten, durch die Straßen ziehen, „Tod den Arabern“ skandieren und auf einen am Boden liegenden Jugendlichen gnadenlos einschlagen, den sie fälschlicherweise für einen Araber gehalten haben. Der ehemalige Direktor des arabisch-israelischen Projekts der International Crisis Group Nathan Thrall spricht von erschreckenden, historischen einmaligen Entwicklungen: „Es ist wirklich beängstigend, wie Lynchmobs durch die Straßen ziehen und allein auf der Basis der Herkunft Menschen angreifen.“ Die Lynchstimmung wird dabei von der rechten Israel-Regierung unter Netanjahu und israelischen Medien angeheizt. Wo ist die Empörung darüber hierzulande?

Viele der aktuellen und tiefer liegenden Missstände hinter der Gewalteskalation sind bekannt und wurden von den Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrat während der Beratungen über die aktuelle Krise vorgebracht. Tunesien verurteilte die inakzeptable Gerichtsentscheidung, Palästinenser in Sheikh Jarrah zwangsweise zu räumen, und das Vorgehen gegen die Betenden in der Moschee. Die Palästinenser hätten ein Recht auf nationale Selbstbestimmung. „Wir dürfen nicht Opfer und Aggressoren gleich behandeln“, ohne gerechte Lösung kein Frieden in der Region, hieß es. Norwegen verwies darauf, dass die Ereignisse im Gazastreifen „nicht in einem Vakuum“ passierten. Die internationale Gemeinschaft müsse die „darunter liegenden Probleme der Krise“ adressieren. Was Ostjerusalem angehe seien „alle Maßnahmen, die auf eine demographische Änderung zielen … illegal unter dem internationalen humanitären Recht“. Irland verlangte von Israel, sich als Besatzungsmacht gemäß seiner humanitären Verpflichtungen gegenüber Gaza zu verhalten. Niger sprach den Palästinenser das Recht zu, sich selbst zu verteidigen. Es sei „widersinnig zu erwarten, dass Menschen unter dem Joch der Besatzung einfach alles erdulden und sich ihrem Schicksal hingeben“. Israel müsse die Besatzung palästinensischen Gebiets beenden. Die karibischen Inselstaaten Saint Vincent und Grenadinen sehen angesichts der israelischen Militäroffensive den Frieden im Nahen Osten gefährdet. Auch sie fordern Israel als Besatzungsmacht auf, die Aggression gegen die Palästinenser einzustellen, während die, die für die Tötung von Zivilisten verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden müssten. „Das Selbstverteidigungsrecht kann das Unrecht nicht verdecken derjenigen Partei, die die ersten Schüsse abgegeben hat und seine militärische Übermacht gegenüber die Schwächeren nutzt.“ Algerien, für die „Arab Group“ sprechend, verurteilte ebenso die israelische Gewalt, die Besatzungspolitik, die Drangsalierung von Palästinensern in Ostjerusalem, das „ohrenbetäubende Schweigen“ der internationalen Gemeinschaft zu den unterdrückerischen Vorgängen und dem Siedlungsbau. Mit Blick auf Gaza hieß es: „Jeder Versuch, Täter zu Opfern zu machen, sei ‚inakzeptabel‘. Die Eskalation wurzelt in einer Strategie der Besatzungsmacht, die darauf zielt, einen souveränen Palästinenserstaat zu verhindern.“ Israel müsse dringend einem Waffenstillstand zustimmen. Jordanien nannte die Besatzung die eigentliche Quelle des Konflikts. „Frieden und Gerechtigkeit sind dem diametral widersprechend.“ China verlangte erneut eine Zweistaatenlösung und stellte mit Bedauern fest, dass wegen der „Sabotage eines Landes“ (sprich: den USA) der Sicherheitsrat nicht mit einer Stimme sprechen könne, um die Situation zu beruhigen und eine politische Einigung zu finden.

Alle Parteien im deutschen Bundestag haben in der Gewalteskalation klargestellt, dass Israel deutsche Staatsräson ist, es sich mit Bomben auf Gaza selbst verteidigen darf, Hamas eine Terrororganisation ist und Antisemitismus nicht geduldet werden kann. SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans kritisierte vorsichtig die Siedlungspolitik Israels und verlangt ein Mitspracherecht bei deutschen Waffenlieferungen an Israel. Die Linken betonen, dass Waffenlieferungen insgesamt nicht akzeptabel sind, während der Spitzenkandidat der Linken Dietmar Bartsch sich für Exporte von deutschen U-Booten nach Israel ausspricht. Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, für die Israels Sicherheit deutsche Staatsräson ist, lässt auf die Pressefrage nach den deutschen U-Boot-Lieferungen über ihre Sprecherin mitteilen, dass man, sollten die Grünen in Regierungsverantwortung kommen, „die Sicherheitskooperation mit dem Staat Israel partnerschaftlich besprechen und fortsetzen“ werde. Große Teile der deutschen Debatte befinden sich weit unterhalb des Niveaus, auf dem im UN-Sicherheitsrat über den Konflikt und seine Hintergründe diskutiert wird. Das sollte zu denken geben.

Als die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg einen Tweet von der US-Journalistin und Buchautorin Naomi Klein über die Erstürmung der Moschee, die sie als Kriegsverbrechen bezeichnet, postete, und sich bestürzt zeigte über die Entwicklung, wird ihr „Anti-Israel-Propaganda“ vorgeworfen. Vor allem Medien des Springer-Konzerns und konservative Zeitungen machen seitdem mobil. Auch Grüne distanzieren sich. Wer sich von Fridays-for-Future mit den Palästinensern solidarisiert, Israels Verhalten und die Besatzungspolitik kritisiert und Sanktionen fordert, gerät seitdem unter Antisemitismusverdacht. Der Berliner Tagesspiegel titelt: „Wie Fridays for Future sich im Nahost-Konflikt verzetteln“ und lässt „Experten“ von einem „Glaubwürdigkeitsverlust der Klimaschutzbewegung“ sprechen. Wie praktisch: Zwei Fliegen mit einer Klappe. Es ist nicht das erste Mal, dass die lästigen KlimavorkämpferInnen mit der Antisemitismuskeule aus der politischen Arena gejagt werden sollen. Siehe Extinction Rebellion Gründer Roger Hallam oder die Green-New-Deal-Politiker in den USA und Großbritannien Alexandria Ocasio-Cortez und Jeremy Corbyn.

In Gaza wird derweil weiter das „Gras gemäht“, bis irgendwann entschieden wird – von Israel und USA –, dass genug gemäht worden ist. Das Thema wird danach von der politischen und medialen Agenda verschwinden. Also nichts Neues in Nahost? Auf den ersten Blick schon, auf den zweiten nicht. In Israel betritt zunehmend eine jüngere Generation von palästinensischen Protestierenden und AktivistInnen die Bühne. Sie nutzen Social Media, andere Formen der Organisation und Vernetzung, eine andere politische Ansprache und Symbolik. Schon bei den friedlichen Protesten 2018 prägten sie die Aktionen. Sie signalisieren nicht nur der israelischen Gesellschaft und Regierung, sondern der Welt: Wir werden nicht gehen. Wir bleiben und wir werden für unsere Rechte kämpfen.

Auch stellen Nahost-Beobachter eine größere Geschlossenheit der verschiedenen, von Israels Politik immer wieder auseinander dividierten Palästinensergruppen fest. Es gäbe heute eine breite solidarische Front, heißt es, die von den Gaza-Bewohnern über das Westjordanland und den sogenannten arabische Israelis bis hin den Palästinensern in der Diaspora reicht. Palästinenser in den besetzten Gebieten und in Israel organisierten sogar einen historisch einmaligen Generalstreik im Zuge der Gaza-Bombardierung. In den USA wurde US-Präsident Joe Biden aus den eigenen Reihen unter Druck gesetzt. Rund 30 Senatoren verlangen einen sofortigen Waffenstillstand. Der demokratische Senator Bernie Sanders verurteilt die israelische Gewalt und das Besatzungsregime nachdrücklich, mahnt, dass „Palestinian lives matter“ und fordert von Biden, die Netanjahu-Regierung nicht weiter zu unterstützen. Die palästinensisch-amerikanische Abgeordnete im US-Kongress Rashida Tlaib hielt auf dem Kapitol eine ergreifende Rede, dabei immer wieder überwältigt von ihren Gefühlen. Sie sprach von der Entmenschlichung der Palästinenser, der Verzerrung des Konflikts in Politik und Medien, den Militärhilfen der USA und den Zerstörungen und dem Leid in den besetzten Gebieten. Liberale Juden in den USA fühlen sich darüber hinaus zunehmend entfremdet von der Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Schließlich haben die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem sowie Human Rights Watch vor einiger Zeit zum ersten Mal erklärt, dass Israel ein Apartheid-Staat ist. Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten eingeleitet. Es geht unter anderem um den Militäreinsatz im Gazastreifen 2014. Das Gericht kündigte jetzt an, möglicherweise auch die aktuellen Militärschläge mit einzubeziehen. Das sind hoffnungsvolle Entwicklungen für die, die sich für Frieden und Gerechtigkeit in der Region einsetzen.

Solange Israel den Gazastreifen aber weiter bombardiert, solange Bomben auch nachts über schlafende Menschen abgeworfen werden, brechen weiter Häuser zusammen und begraben ihre Bewohner unter sich. 14 Familien mit Kindern wurden komplett ausgelöscht. In einem zerbombten Haus starben mindestens 40 Bewohner auf einen Schlag. B’Tselem bezeichnet die Angriffe auf Gaza als Kriegsverbrechen. Währenddessen verzweifeln wieder einmal Angehörige und Freunde in Trauerschmerz, graben unter Betonplatten nach Überlebenden. Sie müssen mit ansehen, wie Eingeklemmte langsam unter dem Schutt ersticken. Denn der Gazastreifen besitzt keinen zivilen Krisenschutz wie andere Länder. 2014 starben in sieben Wochen Gaza-Bombardierung über 2200 Bewohner, darunter mindestens 500 Kinder. Israels Militäroffensive, die der Arzt und palästinensische Abgeordnete Mustafa Barghouti Massaker und psychologischen Terror gegenüber einer schutzlosen Bevölkerung nennt, läuft nun seit zehn Tagen. Netanjahu will weitermachen, man habe das Ziel noch nicht erreicht. Bisher sind weder die USA noch die EU-Staaten bereit, ihn daran zu hindern.